Der Tod schläft in grünen Tüchern

Ein Hauptkommissar Zufall-Fall vom kriminalistisch begabten Mausebär (td) zu Ehren einer Woche mit langem Wochenende.

Dienstag Nacht, 23:35 Uhr.
Es war wieder einer dieser typischen Dienstagnächte, an denen alles passieren konnte.
Wolkenverhangen blickte der schmutzig-silberne Halbmond müde durch die leicht angestaubten Fensterscheiben der Amtsstube. Der Regen spielte ein entnervendes Stakkato, während er vom Wind gegen die Scheibe gepresst wurde. Für eine angeblich lauschige Juni-Nacht war es zu kalt und zu feucht.
Während der Mond von einer Wolke verdeckt wurde, stimmte ich leise das Lied von Rio Reiser an. „Junimond“, nichts passte zu dieser Stimmung besser als diese Reminiszenz an meine verflossene Jugend. „Es ist vorbei, bye bye“.
Mein Büro in der dritten Etage des Polizeipräsidiums war genauso zu einer Sackgasse geworden wie meine dritte Ehe, deren Scheitern mit jedem Tag mehr zur Gewissheit wurde. Ich war einer dieser glücklichen Menschen, deren Leben zugleich Einbahnstraße als auch Sackgasse war.
Wie vom Schicksal geführt, blickte ich auf die Uhr. Die Zeit dehnte sich wie das Nikotinkaugummi unter meinem Schreibtischstuhl, als plötzlich das Telefon mit schaurigem Ton die melancholische Stille meines tabakvernebelten Schreibzimmers durchdrang.
Ich drückte meine Zigarette im Kaffeebecher aus und nahm bedächtig den Hörer ab.

Selten klingelte es in der SoKo 42 der Kriminalpolizei, welche neben mir aus lediglich vier weiteren Beamten bestand, von denen einer ein deutscher Schäferhund war, was ihn nicht zum dümmsten Mitglied dieser illustren Truppe von Versagern unter dem Kommando des größten Verlierers von allen, nämlich Hauptkommissar Zufall, also mir, machte.
Ja, so war es, geboren als Rainer Maria Zufall, war es schon von meiner jüngsten Kindheit an mein größter Wunsch, Polizeibeamter zu werden. Trotzdem hatte mich ein harter Wind nicht den Weg die Karriereleiter hochgetrieben, sondern mich barsch auf das Abstellgleis einer mehr als verzichtbaren Sonderkommission, namens SoKo 42, von anderen Polizisten auch gerne SoKo „Pillepalle“ genannt, gedrängt.

Müde und verbraucht hustete ich, unterstützt von den Folgen Jahrzehnte langer Nikotinabhängigkeit, meinen Namen in den Telefonhörer. Es war der Bereitschaftsdienst, der mich aufforderte, in die Mühlengasse 312 zu kommen, am besten sofort. Der Fahrdienst würde schon am Eingang Drei des Präsidiums warten.
Ich meinte einen lakonischen Unterton zu hören. Es gab wohl kaum einen Kollegen im ganzen Revier, dem die unglückseligen Umstände, die zum Verlust meiner Fahrerlaubnis führten, nicht bekannt waren.
Es war an der Zeit. Ich zog meine Hose an, die ich aus Bequemlichkeitsgründen auf der Stuhllehne verwahrte und nahm die Dienstwaffe aus dem Blumentopf mit dem Kaktus.
Mein Mobiltelefon und mein Notizbuch landeten genauso in der Innentasche meines beigen Trenchcoats, wie eine Schachtel Zigaretten, samt meinem treuem Zippo. Ein kurzes Kontrollschütteln überzeugte mich, das mein Dienstflachmann ordentlich betankt war.
Ich nahm einen letzten Schluck aus der Kaffeetasse, spuckte die versoffene Fluppe, die darin schwamm, geübt in den Papierkorb und verließ mein Büro.

Dienstag Nacht, 23:58 Uhr.
Der Dienstwagen schoss durch die Nacht. Eben hatte ich meinen besten Mann, Oberkommisssarin Gudrun Dinkelmeier, telefonisch zu der Adresse gebeten, um nicht ohne Unterstützung an einem Tatort zu sein.
Ich wusste weder, was uns bevorstand, noch wohin uns der mysteriöse Fall führen sollte.

Mittwoch Morgen, 00:21 Uhr.
Quietschend kam der Streifenwagen in der Mühlengasse zu stehen. Oberkommisarin Dinkelmaier stand bereits neben der Treppe, die zu dem Haus 312 führte.
Wie immer war sie vor mir da und trug eine enganliegende Motorradkombi, die ihren athletischen, aber dennoch weiblichen Körper perfekt betonte. Die Nonchalance, mit der sie ihren Motorradhelm locker in der Hand schwang, hätte manchen Mann in die Verzweiflung getrieben. Mich nicht, denn ich war bekennender Rotweintrinker.
Während sie ihr feuerrotes Haar lasziv schüttelte wie ein Mädchen aus einer Shampoowerbung wehte ein leichter Duft von Schleichwerbung in meine Nase, aber diese Ermittlung war nun mal durch Produktplatzierungen finanziert.
Ich nickte ihr knapp zu und begrüßte sie mit einem kurzen „Gisela“.
Sie erwiderte das Nicken. „Womit haben wir es zu tun, Rainer?“ fragte sie, während ihre dunkelgrünen Augen mich interessiert fixierten.
Wieder einmal wunderte ich mich, dass die ehemalige SEK-Beamtin, die jegliche Polizeiliche Ausbildung, samt Sondertraining und Verwaltungslehrgang 7B mit Auszeichnung bestanden hatte, immer noch in der lächerlichsten SoKo der ganzen Stadt diente. Oberkommisarin Dinkelmayr hätte in fast jeder Abteilung arbeiten können, aber Gabrielle war uns stets treu geblieben, oder besser gesagt mir, dem Chef des traurigen Haufens.
Ich zuckte ahnungslos mit den Schultern und zündete mir eine Zigarette an.
Noch im Licht meines Feuerzeuges öffnete sich die Haustür zu dem Mehrfamilienwohnhaus.
Die dienstbeflissenen Augen von Oberkommissar Spaltenstürmer, einem engagierten Arschkriecher des Morddezernates, blickten in unsere Richtung. Ich erkannte sofort die Abscheu meines ehemaligen Praktikanten in seinen hellblauen Fischaugen. Unser Verhältnis war, seit einer missglückten Liaison, nicht das beste, obwohl ich ihn vorgewarnt hatte. Ich war nun einmal der Typ Mercedes-Fahrer, da biss die Maus keinen Faden ab. Seine nicht erwiderte Liebe hatte er nie verkraftet und über die letzten Jahre hatte sie sich in das grüne Monster namens Missgunst verwandelt.
Es wunderte mich, dass mich Spaltenstürmer in seine Ermittlung einbezog.
Ich nahm noch einen tiefen Zug meiner Zigarette und schnippte den Rest achtlos über meine Schultern. Hinter mir hörte ich einen Schmerzensschrei, gefolgt von einem Fluchen. Die Stimme klang sehr nach dem jungen Polizisten der Fahrbereitschaft, aber ich durfte mich nicht von Details ablenken lassen.
Getrud folgte mir wie ein sehr wohlgeformter Schatten, während ich auf die offene Tür zusteuerte. „Erwin, was gibt es?“ richtete ich meine erste Frage an Spaltenstürmer. Er blickte mich kurz nichtssagend aus seinen kalten toten Augen an. „Hauptkommissar Zufall, Oberkommissarin Dinkelmeir,“ begann er sehr betont „ Wenn sie mir bitte folgen würden“.

Wir betraten den Flur des Mehrfamilienhauses. Es war ein typisches Reihenhaus im Stil der fünfziger Jahre. Sechs Parteien, ein einfacher Flur mit Treppe, alle sechs Wochen Flurdienst. Kein Aufzug, wie ich gleich sah.
Es ist im dritten Stock“. Natürlich, es war immer der dritte Stock.
Das Treppenhaus wirkte nichtssagend. Nicht sauber, aber auch nicht dreckig. Nicht neuwertig, aber in Ordnung. Ein Treppenhaus wie viele andere in unserer Stadt. Wir folgten der Treppe zu ihrem logischen Ende.

Auf der obersten Etage war die linke Wohnungstür offen. Daneben stand ein uniformierter Kollege, der beim Anblick von Spaltenstürmer, angesichts seiner offensichtlichen Kleinkariertheit, sogleich angstvoll Haltung annahm. Gerda und ich tauschten einen kurzen, aber vielsagenden Blick aus.
Aus der Wohnung kam Dr. Schrittlänge, der Gerichtsmediziner. Ich nickte ihm kurz zu. Kurz nickte er zurück und begrüßte mit einem tiefen Blick in das Dekolletee samt massiven Erröten meiner Begleitung. Deren, mittlerweile geöffnete, Motorradlederjacke und ihr knappes Top luden dazu gerade ein und Dr. Schrittlänge konnte solchen Einladungen von Natur aus nicht widerstehen. „Fräulein Dinkelmair…,“ begann er, bevor er rüde von Spaltenstürmer unterbrochen wurde. „Die Fakten, Doktor, nur die Fakten!“, forderte der missverstandene Karnevalsprinz im Beamtenzwirn.
Dr. Schrittlänge fing nervös an, seine Brille mit einem Taschentuch zu putzen. „Ja, also, wir haben es mit einem männlichen Weißen im Alter von Anfang bis Mitte 40 zu tun. Er ist, sagen wir es mit einfachen Worten, tot“ „Ich brauche mehr Details“, merkte ich ruhig an, während ich mir eine Aufmerksamkeitszigarette anzündete.
Nun ja, also, er ist, bzw. war, obwohl eigentlich ist er es immer noch, nun ja, sagen wir, adipös. Oder, wie wir Mediziner sagen würden, Adipositas per Magna, aber das hat mit der Todesursache überhaupt nichts zu tun, hoffe ich.“ „Wieso hoffen Sie das?“ fragte Gina mit ihrer rauchigen Telefonsexstimme.
Fasziniert betrachtete ich die kleinen Schweißperlen auf seiner Stirn und das nervöse Nesteln an seiner Brille, als ihr Timbre seine gewohnte Arbeit tat. „ Nun, Fräulein Dinkelmeyr, es ist die Art des Todes, wir haben es mit einer klassischen Asphyxia per Cricetinae zu tun“.

Eine bedeutungsvolle Stille trat ein.

Kurzentschlossen brach ich das betreten Schweigen und erklärte Spaltenstürmer: „Das ist Erstickung durch einen oder mehrere Hamster, meist oral intubiert, bzw. eingeführt.“ Spaltenstürmer blickte genauso hilflos und fischig wie ein Goldfisch im Zahnputzbecher. „Kommt häufiger vor, als man meinen mag“ ergänzte der Pathologe. „Schätzungsweise trat der Tod vor zwei bis drei Stunden ein, alles weitere erst nach der Autopsie“ „Von dem Opfer oder dem Hamster?“, scherzelte Spaltenstürmer, um seine angeschlagene Autorität zu retten.
Mitleidig betrachtete Dr. Schrittlänge ihn. „Erstens handelt es sich nicht um einen, sondern um fünf Hamster, der Familie Mesocricetus auratus, also Goldhamster, zweitens ist es eine allgemeine moralische Frage, wer hier das Opfer ist und drittens, Ja!“ Er setzte die Brille wieder auf seine Nase und ließ den verdutzten Oberkommissar stehen, als er die Treppe nach unten nahm.

Ich blickte auf das Klingelschild der Wohnung. In fast kindlich anmutender Krakelschrift aus Druckbuchstaben, mit einem Kugelschreiber auf kariertem Papier geschrieben und danach abgerissen, stand unter dem Plastikschutz der Türklingel „T. Dürholt“.
Ich schob die Tür weiter auf und betrat die Wohnung. Während mir Gerlinde, ohne zu zögern, folgte, rief uns Oberkommissar Spaltenstürmer noch hinterher…

Fortsetzung folgt…

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