Musterdeutsche Deeskalation auf Gut Herzogfels
Alise und Sunny treffen auf detektivischer Spurensuche auf die Grenzen gewaltfreier Kommunikation…
Skeptischen Blickes musterte Sunny das gelbe Kunststoffschild mit der Aufschrift ‚Betreten verboten – Eltern haften für ihre Kinder‘.
„Scheint so, als ob doch wieder jemand auf Herzogfels wohnt oder arbeitet.“ fasste Alise die Sachlage zusammen. Sunny hatte ihr die jüngere Geschichte des alten Gemäuers erzählt, wie er sie am Abend zuvor von seiner Mutter gehört hatte. Er wollte Alise gerne Glauben schenken, wunderte sich allerdings, dass diese neuesten Entwicklungen sich noch nicht bis zu seinen Eltern herumgesprochen hatten. Schließlich war Herzogfels eben Gemeindegrund und seine Mutter Emilia Sonnenberger seit vielen Jahren stellvertretende Protokollantin bei den Gemeinderatssitzungen. Konnte es sein, dass ein neuer Nutzer des leerstehenden Gemäuers samt umgebenden Geländes dort im Vorfeld nicht besprochen worden wäre?
Gemeinsam hatten Sunny und Alise den Draht des Elektrozauns sorgsam aus dem hohen nassen Gras aufgelesen und die gerissenen Teilstücke links und rechts an die beiden nächsten Zaunpfosten gehängt. Dann waren sie ein Stück weit die Zufahrt entlang gegangen, welche Minuten zuvor der Pickup hinunter gebraust war. Nur wenige Schritte hinter der Einmündung war das Verbotsschild an den Stamm einer Buche genagelt worden, deren Eckern und leere Samenhülsen unter ihren Schritten leise knackten.
„Was tun wir jetzt?“ fragte Alise.
„Runtergehen und den Schaden melden.“ schlug Sunny vor und wollte sich schon in Bewegung setzen, als ihn Alise sanft am Arm festhielt.
„Dürfen wir das denn? Das Schild ist keine Einladung.“ gab sie zu bedenken.
„Wir sind ja in dem Sinne keine Unbefugten oder Kinder, die sich irgendeinen Unfug ausdenken. Wir wollen nur einem Unfall auf den Grund gehen.“ Sunny legte soviel Selbstsicherheit wie möglich in seine Stimme und hoffte, dass Alise nicht merkte, wie nervös er eigentlich war. Neben diesem Gefühl der eigenen Unsicherheit spürte Sunny noch Neugier und, so tief in sich, dass es fast unterschwellig zu nennen war, etwas anderes, dunkleres.
„Nun denn, ich bleibe bei Dir.“ stellte Alise klar. „Gehen wir und sehen, was wir erreichen können.“
Seite an Seite folgten die beiden Jugendlichen der leidlich gekiesten Zufahrt durch den Wald. Die Fahrspur des Pickup war nicht zu übersehen und an einer Stelle, an der die Sonne durch das sich lichtende Blätterdach fiel, blieb Sunny stehen und ging in die Hocke.
„Schau Dir das Profil an – das gleiche wie das, das zum Weidezaun führt.“
Alise nickte und flüsterte dann mit gespielt dramatisch piepsiger Stimme: „Sollen wir die Polizei rufen?“
Sunny grinste. Alise amüsierte sich regelmäßig über die gerade in alten Filmen auf die Eigenschaften „wunderschön“, „naiv“ und „hysterisch“ ausgelegten weiblichen Rollen.
„Nun, ich glaube, wir sehen uns erstmal weiter um, Moneypenny.“ antwortete Sunny mit schelmisch erhobener Augenbraue. Alise warf sich ihrem Freund dramatisch in die Arme, konnte aber ein nervöses Kichern nicht mehr unterdrücken. „Oh, James…“ hauchte sie und sie küssten einander kurz, bevor sie beide ihrem Lachen nachgaben.
Die Zufahrt wand sich in einem Halbkreis einen Hang hinunter, aus dem an manchen Stellen das darunter liegende Schiefergestein sichtbar wurde. Bevor die Steigung deutlich steiler wurde, kamen Alise und Sunny an einem waagerecht einbetonierten mausgrauen Stromkasten vorbei. Sunny hörte dessen Transistoren leise summen, während Alise die Zu- und Ableitungen studierte. Einerseits speiste das Gerät die über mehrere hölzerne Masten nach unten führende Hausleitung von Gut Herzogfels. Soweit das offensichtliche. Kritischer betrachtete Alise jenes Kabel, welches auf der linken Seite aus dem Stromkasten ragte. Unmengen von Isolierband und eine an manchen Stellen brüchig gewordene Kunststoffummantelung verliehen dieser Elektroinstallation ohne Frage die Attribute ‚provisorisch‘ und ’stümperhaft‘. Alise kleidete ihre Beurteilung jedoch in etwas weniger gepflegte Worte.
„Das ist grob fahrlässig.“ fasste Sunny zusammen.
„Oder so, Ja!“ schnappte Alise und ihre Augen blitzten vor Empörung.
Sie nahm ihr Handy aus der Gesäßtasche ihrer enganliegenden Stonewashed-Jeans und machte einige Fotos. „Die zeigen wir nachher unseren Eltern. Vielleicht können sie als Beweis gelten, dass diese Installation den Unfall verursacht hat.“
„Gute Idee.“ stimmte Sunny zu und die beiden gingen weiter.
Gerade als sie an einer mächtigen Eiche vorüber kamen und Sunny Alise mit dem Arm ein rostrotes Eichhörnchen zeigte, konnten sie auf das alte Gut Herzogfels hinabblicken, welches irgendein Edelmann aus historischer Zeit einst hatte errichten lassen. Ein trutziger ockerfarbener Wehrturm, mehrere flache Nebengebäude, zum Teil mit dem Turm verbunden, von Wind und Wetter gezeichnete dunkle Dachschindeln und ein leidlich gepflasterter Vorplatz. In dessen Mitte stand der Pickup. Daneben parkte ein mattgrün lackierter Geländewagen von der Sorte wie Förster oder Jäger sie gerne fahren. Zu sehen war niemand.
Sunny und Alise gingen um die letzte Biegung und traten aus dem Wald auf den Vorplatz des Gebäudes hinaus. Sunny konnte nicht verhehlen, dass ihm vor Nervosität das Herz schneller als gewöhnlich zu schlagen schien und so fest, wie Alise seine Hand hielt, schien auch ihr zumindest mulmig zumute zu sein. Sie ließen ihren Blick aufmerksam über das Gelände gleiten.
„Lass uns mal klingeln oder klopfen.“ sagte Sunny gerade und gemeinsam passierten sie die Heckklappe des Geländewagens, als plötzlich und unmittelbar neben ihnen sehr lautes, dunkles Bellen erschallte und zwei mächtige Pfoten von innen an die Heckscheiben des Pickups schlugen.
Beide, Alise und Sunny, fuhren ob des Schrecks zusammen und ein erstaunter Aufschrei entwand sich ihrer beider Kehlen. Ein mächtiger Dobermann hatte offenbar friedlich im Laderaum des Geländewagens gelegen und die beiden Teenager aber natürlich sofort bemerkt und angezeigt. Wütendes Gebell ergoss sich nun über den Vorplatz, die Krallen des ebenso imposanten wie hässlichen Tieres klackerten laut gegen die Autoscheibe. Der heiße Atem der Bestie, deren linkes Auge blindweiß ins Leere starrte, ließ die Seitenscheibe von innen beschlagen.
Möglicherweise hätten Sunny und Alise an diesem Punkt beschlossen, kehrt zu machen. Doch diese Gelegenheit war ähnlich schnell verstrichen, wie sie gekommen war. Ein zweitöniger Pfiff durchschnitt die Luft und es wurde augenblicklich still. Der Hund nahm hechelnd und brummend sitzende Position ein, ohne die Jugendlichen aus dem Auge zu lassen.
Aus einer hölzernen Schiebetür, welche zu einem schuppenähnlichen Anbau gehörte, war ein Mann getreten und ging zügig auf Sunny und Alise zu. Er war ungewöhnlich klein, aber sehr muskulös. Schweiß glitzerte auf seiner blankpolierten Glatze. Gekleidet war er in ockerfarbene Hosen, olivgrünes T-Shirt und schwarze Lederstiefel, deren Sohlen laut über den Vorplatz knallten und von den Hauswänden zum Teil mehrfach zurückgeworfen wurden.
„Ein Schalltrichter.“ stellte eine Stimme in Sunnys Kopf zufrieden fest.
„Was habt Ihr hier zu suchen? Das ist Privatbesitz!“ bellte der kleine barhäuptige Mann da auch schon die beiden Teenager an. „Das wissen wir.“ antwortete Sunny und stellte sich vor dem herankommenden Fremden in Positur, um möglichst selbstbewusst und erwachsen aufzutreten. „Mein Name ist Manf…-“ begann Sunny, da schnitt ihm sein Gegenüber barsch das Wort ab. „Mir ist egal wie Du heißt! Das ist kein Kinderspielplatz hier und auch kein Platz zum Rumknutschen! Das ist Privatgelände.“
„Wir sind nicht hier, um zu spielen oder rumzuknutschen, sondern weil Sie mit ihrem Pickup einen Weidezaun kaputt gemacht haben und deswegen…“ schnappte Alise gerade, als eine zweite Stimme hinter ihnen dazwischenfuhr. „Hömma‘ zu, Du Rotzgöhr, riskier‘ hier nich‘ so ’ne Lippe, sonst…“
Erst jetzt merkte Sunny, dass während Alise und er zunächst durch den Hund und dann durch den ersten Mann abgelenkt worden waren, ein zweiter Mann hinter sie getreten war. Sunny und Alise wichen ein Stück nach links, in Richtung Zufahrt zurück und blickten auf ihre unfreundlichen Kontrahenten. Der zweite Mann schien, von seiner identischen Kleidung und Muskelmasse abgesehen, der Gegenentwurf des ersten zu sein. Groß und breitschultrig mit eng zusammenstehenden Schweinsäuglein und Kinngrübchen.
Sunnys soziales Frühwarnsystem meldete umgehend, dass der Hühne eher über grobschlächtige Einfältigkeit verfügte. Die verschlagene Intelligenz des kleinen Mannes schien dem größeren abzugehen.
Da besann sich Sunny des Mantras, welches er durch unzählige Stunden der Meditation und asiatischen Kampfkunst geschulten Urteilsfähigkeit für seine Bedürfnisse erweitert und präzisiert hatte: ‚Begib Dich niemals in einen Kampf, den Du nicht ohne schwere Kollateralschäden gewinnen kannst – ob für Dich oder jene, die Du liebst.‘ Immerhin hatte Sunny in der Schule auch den Projektkurs „Soziale Auseinandersetzung und Deeskalationstechniken“ besucht.
So hob er seine Hände und sagte dann: „Es tut uns leid, Sie zu stören. Wir möchten lediglich auf einen beobachteten Schaden aufm…“, da fuhr ihm der kleine Mann erneut rüde über den Mund.
„Dein linksgrün versifftes Kriegsdienstverweigerungsgeschwätz kannst Du Dir sonstwohin stecken. Pack‘ Dir Dein Bückstück unter den Arm und…“.
An dieser Stelle passierten mehrere Dinge gleichzeitig, die Sunny erst hinterher im heimischen Federbett komplett entflechten konnte.
Einerseits hatte der einfältige Hühne zu sprechen begonnen und sagte gerade, sich in der Absicht, diese zu entriegeln, zur Hecktür des Geländewagens drehend: „Frida freut sich, Euch raus zu begleiten.“
Noch bevor der Simpel die Heckklappe öffnen konnte, durchschnitt das scharfe Klatschen einer schallenden Ohrfeige die Szenerie. Mit Augen, groß und rund wie Untertassen, musste Sunny zur Kenntnis nehmen, dass Alise mit Zornesröte im Gesicht dem kleinen Mann ordentlich eine gepfeffert hatte.
Dieser wandelte die verdutzte Überraschung über das plötzliche Brennen auf seiner linken Wange unmittelbar in wütende Energie um und machte Miene, sich auf Alise stürzen zu wollen. Das brachte Sunny instinktiv dazu, Muskeln und Sehnen gespannt, Kampfhaltung einzunehmen.
Zum selben Zeitpunkt öffnete sich die Heckklappe und mit gutturalem Knurren sprang Frida aus dem Wagen und auf die Jugendlichen zu.
Fortsetzung folgt…
Ein Kommentar
Böser böser Autor, an dieser stelle das kapittel bzu beenden is einfach gemein.
😉