Mal wieder Toleranz

Toleranz, auch Duldsamkeit, bezeichnet als philosophischer und sozialethischer Begriff ein Gewährenlassen und Geltenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Umgangssprachlich meint man damit häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung, die aber über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.

Das zugrundeliegende Verb tolerieren wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen tolerare („erdulden“, „ertragen“) entlehnt. Das Adjektiv tolerant in der Bedeutung „duldsam, nachsichtig, großzügig, weitherzig“ ist seit dem 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, belegt ebenso die Gegenbildung intolerant, als „unduldsam, keine andere Meinung oder Weltanschauung gelten lassend als die eigene“.

Der Gegenbegriff zu Toleranz ist die Intoleranz, in der Bedeutung „Unduldsamkeit“ im 18. Jahrhundert aus dem französischen intolérance entlehnt. Als Steigerung der Toleranz gilt die Akzeptanz, die gutheißende, zustimmende Haltung gegenüber einer anderen Person oder ihrem Verhalten, aber auch gegenüber sich selbst.

Wikipedia- Eintrag Stand März 2023 [https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz]

Warum stelle ich heute die Definition des Toleranzbegriffes in den Vordergrund?

Toleranz bedeutet auch Arbeit, etwas zu dulden ist zwar ein passive Fertigkeit im Alltag, aber auch (und gerade) diese Handlungen (oder Nicht-Handlungen) kosten uns Energie.
Es bedarf einer inneren Anstrengung, Gedanken oder Taten, die wir nicht mit unserem inneren Weltbild in Übereinkunft bringen können (sei es aus Gegenläufigkeit oder aus Fremdartigkeit) einfach stehen zu lassen und sie nicht zu beachten oder kommentieren.
Von Natur aus halten wir das Gebilde aus Allgemeinwissen, Kulturellen Überzeugungen, ethischer und/oder religiöser Moral und Gesetzgebung, also zusammengefasst den gesellschaftlichen Konsens, in dem wir aufgewachsen sind oder uns erfolgreich integriert haben für den richtigen (oder den gangbarsten) Weg.
Wir sind daran gewöhnt die Dinge aus Sicht unserer persönlichen Erfahrung , aber auch aus dem Blickwinkel unseres kulturellen Hintergrundes (worein ich in dem Fall Ethik, Moral und Religion mit einbeziehe) zu beurteilen.
Wenn etwas diesen gewohnten rahmen verlässt, dann wirkt es fremdartig auf uns. Von Natur aus, sind fremdartige Dinge meist mit Angst belegt (das ist die Art wie unser Gehirn dafür sorgt, dass wir erstmal vorsichtig sind, wenn wir etwas nicht einschätzen können und hat unserer Art das überleben mit ermöglicht – daher eine gute Strategie und somit Teil unseres Instinktes). Diese Angst kann sich in Ablehnung, Vorbehalten und Misstrauen äußern und in seltenen Fällen auch Neugier anregen.
Aus dieser Angst jetzt eine gelassene Haltung zu generieren, die uns erlaubt die Situation zu analysieren und durch Perspektivenübernahme zu verstehen oder zumindest besser einzuschätzen ist ein Teil jener Arbeit, die ich als Toleranzarbeit bezeichnen würde.
Ich erdulde meine eigenen Vorbehalte, um mich mit etwas fremdartigen oder andersartigen auseinander zu setzen.

Ich merke bei mir selber, je höher mein eigens Stresslevel und/oder je niedriger mein eigenes Energielevel ist, um so weniger bin ich zur Toleranz fähig. Ich habe nicht die Energie zu Erdulden, daher reagiere ich aggressiv auf alles, was (neben Geduld) Duldsamkeit von mir fordert.
Je mehr ich gerade dabei bin an etwas zu arbeiten, umso weniger Lust habe ich, dass mein eigenes Weltbild gerade hinterfragt wird. Eben weil ich meine sicher Umgebung brauche.
Somit mache ich jetzt mal den Sprung ins größere, ist es umso schwieriger, je mehr Veränderungen in einer Gesellschaft stattfinden, Toleranz aufrecht zu erhalten.
gefühlt erduldet die Gesellschaft gerade so viel (Pandemie, Kriege in der Nachbarschaft, Umweltbelastung, Verteuerung, Hinterfragen des eigenen Lebensstandards), dass es dem einzelnen Menschen immer schwerer fällt, all das zu erdulden. Und so sehnt sich jeder nach einen paar, mal zur Abwechslung, einfachen Lösungen für all diese komplexen (Gefühlten) Bedrohungen. Entlastung vom ewigen Erdulden, um es mal so zu sagen.

Diese Entlastung bieten jetzt die Populisten, also die Bauernfänger von jeglicher Seite. Sei es politisch (egal ob links oder rechts), religiös, wirtschaftlich (vom Prepper zum Anleger) oder ethisch (Aktivisten welcher Art auch immer).
Alle wollen ihrem Druck Luft machen und sich endlich in etwas sicher fühlen.

Komisch wird es dann, wenn um Toleranz geworben wird, also wenn Menschen ihr heil darin sehen, (vermeintlich) unterdrückten Gruppen zur Seite zu stehen und versuchen ihre Erkenntnisse anderen auf zu drücken und dann die Ablehnung dessen als Intolerant bezeichnen.

Und da kommen wir zum Toleranzparadox:

„Weniger bekannt ist das Paradoxon der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Karl R. Popper

Eine wahre Sache, denn wenn wir nicht das Gleichgewicht der Toleranz in der Gesellschaft erhalten, wird es schnell eine Problematik geben.
Toleranz kann nur funktionieren, wenn alle sich daran beteiligen und es ist im letzten Schluss die Toleranz dort fallen zu lassen, wo unsere ureigensten Werte bedroht werden.

Aber wie weit darf das gehen?

Auch hier antwortet der Philosoph Karl R. Popper mit klaren Ansagen:

„Damit möchte ich nicht sagen, dass wir z. B. intolerante Philosophien auf jeden Fall gewaltsam unterdrücken sollten; solange wir ihnen durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig. Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken, denn es kann sich leicht herausstellen, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie können ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanöver nennen – zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten.

Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“

Karl R. Popper

Was aber meist vergessen wird, ist, dass Popper selbst, das als Ultima Ratio, also das letzte Mittel bezeichnet. Also nichts was dauerhaft und immer angewendet wird, sondern in der tatsächlichen Situation, das jemand die Toleranz, als Grundsatz der Gesellschaft abschaffen möchte.
also überall da wo die rationale Diskussion nicht weiter führt.

Das Problem ist aber, das meiner Meinung nach keiner mehr genug Toleranz aufbringt, um eine rationale Diskussion zu führen, denn das würde bedeuten, innerhalb der Diskussion auch den gegenläufigen Meinungen einen gleichwertigen Platz einzuräumen, um gemeinsam auf eine Einigung zu kommen und nicht den anderen Beteiligten zu überzeugen, niederzuschreien, mit Scheinargumenten auszumanövrieren oder zu diffamieren, wie es mittlerweile zur Gewohnheit geworden ist.
es ist keine Toleranz, aus Gründen der Toleranz die Argumente eines anderen Menschen zu verwehren und es ist auch kein Bestandteil des Toleranzparadoxes, mit Leuten einer (mutmaßlichen) Intoleranten Meinung gar nicht erst in einen Dialog zu treten.
Das oft gehört „Mit denen kann man nicht diskutieren“ ist kein Mittel im Rahmen des Toleranzparadoxes, sondern der Missbrauch der Ultima Ratio nach Popper zur Vertuschung der eigenen Intoleranz.

Und da bin ich schon wieder bei meinem altem Kumpel Freddy:

Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.

Friedrich Nietzsche

Und auch nicht zu vergessen:

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. 

Friedrich Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“

Was nur bedeutet, dass man sich selber fragen soll, ob man im Kampf gegen die Intoleranz nicht selber extrem intolerant geworden ist.
Der Kampf für Toleranz braucht viel Perspektivenübernahme, denn nur wenn wir verstehen, was unser gegenüber intolerant macht, können wir ihm helfen, den Weg zurück zur Toleranz zu finden.

Vielleicht etwas um da auch selber mal drüber nachzudenken.

Euer Mausebär

3 Kommentare

  • Hey,

    nicht so leicht Toleranz mit ist mir Egal zu vertauschen.

    Toleranz heißt für mich auch, sich mit dem
    zu beschäftigen was der Andere bezweckt/vermittelt/dabei denkt.
    Toleranz bedeutet Kraft und Zeit zu investieren.
    Toleranz sollte nicht einseitig sein, im Wechsel der Gegenseitigkeit passieren.
    Im Berufsleben, gerade in meinem verdammt schwer täglich zu leben.
    Kinder/Erwachsene und Kollegen sind jeden Tag eine Herausforderung, Toleranz ist ein schönes Wort, aber immer schwerer zu leben.

    Habe fertig ☺️

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  • Hallo, deinem Beitrag kann ich wie so oft voll zustimmen. Meine Beobachtung dazu ist, dass gerade alle zu wenig Energie haben, sich dauernd tolerant zu verhalten. Es gibt immer genug energiezehrende persönliche Probleme, die gesellschaftlich Toleranz mildern. Das finde ich schade, die Energie, die man später in einem Diskurs aufwenden muss, um weiterzukommen, ist meiner Erfahrung nach erheblich größer, als wenn man sich von Anfang an um Toleranz bemüht.
    Viele liebe Grüße,
    Paladin in Ausbildung

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