Dialog zwischen Wäscheleinen
Der Wanderer entlockt Emilia Sonnenberger ein spezielles Anliegen…
Sie erwischte ihn auf dem Weg die breite Steintreppe hinauf, welche aus der Waschküche ins Freie führte.
Der Wanderer trug einen Korb frisch gewaschener Wäsche in seinen Händen und steuerte die Wäscheleinen an, welche auf der Wiese vor dem Hofgebäude zwischen Holzpfosten, die in einem früheren Jahrhundert einmal als Telegrafenmasten gedient hatten, aufgespannt waren.
Emilia Sonnenberger war froh und dankbar, dass ihre Chorkollegin Hedwig ihr den neuen Pensionsgast vermittelt hatte. Einen Mann in seinen besten Jahren konnte sie als helfende Hand auf dem Hof immer gebrauchen und so hatte sie sich gerne bereit erklärt, dem Wanderer Kost und Logis gegen Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen.
Es gefiel Emilia Sonnenberger, wie natürlich der Mann mit den Ponys im Offenstall umging. Es war gar nicht so leicht, eine gute Aushilfe für Stallarbeit zu finden. Der Wanderer hatte einen guten Blick dafür, wo die kleinen aber wichtigen Schmutzfallen waren und sich in kurzer Zeit zurecht gefunden. Auch schien er ein Gespür dafür zu haben, wenn es einem der zum Teil schon hochbetagten Ponys nicht gut ging.
„Da bist Du ja.“ begrüßte Emilia Sonnenberger den Wanderer freundlich. „Jrüß Dich, Emmy!“ erwiderte dieser und lächelte. Wie üblich, spürte er die positive Energie der Hofbesitzerin, die wie ein warmes Leuchten von ihr auszugehen schien. „Wat kann ich für Dich tun?“ fügte der Wanderer hinzu.
„Gar nix, ist doch Dein freier Tag heute.“ antwortete Emilia. Sie hatte ihm sofort nach dem Händedruck, mit welchem die beiden am Tag nach der Ankunft des Wanderers auf dem Sonnenberger Hof in der gemütlichen Küche ihre Übereinkunft auf die „alte“ Weise in gegenseitigem Vertrauen besiegelt hatten, das „Du“ angeboten. Der Wanderer hatte erfreut zugestimmt.
„Heute Nachmittag kommt ein neuer Sommergast an, eine Dame, der ich gerne das Zimmer über Deinem geben würde.“
„Spricht von mir aus nix gegen…“ antwortete der Wanderer, schüttelte ein gewaschenes Hemd aus und fixierte es mit Wäscheklammern an der Leine. „Aber wenn Du, der der Hof ja gehört, meinst, mich vorher in Kenntnis setzen zu müssen, scheint mir da ein Haken an der Sache zu sein…“ ergänzte der Wanderer mit wissendem Blick.
„Nicht wirklich ein Haken. Die Dame ist praktisch hier auf dem Hof aufgewachsen, wohnt und arbeitet in der Großstadt, kommt aber jeden Sommer wieder her. – Sie reitet übrigens den alten Baghira. Sie kennt ihn noch als Fohlen.“
„Der alte Knabe wird sich freuen.“ entgegnete der Wanderer und befestigte eine Outdoorhose an der Wäscheleine. In der Luft lag der würzige Duft trocknenden Heus und im nahen Apfelbaum sang eine Goldammer ihr Lied.
„Nu‘ aber Butter bei die Fische, Emmy“ lenkte der Wanderer das Gespräch mit schalkhaftem Augenzwinkern wieder hin zu dem eigentlichen Anliegen seiner Wirtin. „Wat is‘ mit der Dame?“
Emilia Sonnenberger seufzte. „Sie hat einen ähnlichen Biorhythmus wie Du, ist aber statt der Lerche eher eine Fledermaus. Immer wenn sie kommt, stimmt sie zuerst das alte Klavier oben im Giebel und spielt dann gerne zu sehr später Stunde noch. Nach vorne raus, wo wir schlafen und wo die meisten anderen Zimmer liegen, hört man praktisch nix davon. Hinten, zum Offenstall raus, aber sicher etwas.“
In diesem Moment lief maunzend eine stattliche rotgetigerte Katze mit weißer Kehlblässe zu den beiden.
Der Wanderer hatte alle Wäschestücke aufgehangen und ging in Erwartung des schnurrenden Pelzträgers in die Hocke. Der Kater nahm huldvoll die Streicheleinheiten entgegen. „Na, da bist Du ja wieder.“ sagte der Wanderer. „Wie heißt der Kater eigentlich?“ fragte er Emilia Sonnenberger dann.
„Das ist Heisenberg. Er lebt schon lange bei uns und ist der menschenbezogenste unserer Stallkater.“ Wie um die Worte seines Frauchens zu bestätigen, schmiegte Heisenberg seinen Kopf gehen die Hand des Wanderers und honorierte dessen Kraulen mit intensivem Schnurren. Eine kurze Zeit lang gaben sich alle drei dem Moment hin. Dann erhob sich der Wanderer, wobei seine Knie knackten.
„Mach Dir keine Sorgen, Emmy.“ sagte er dann. „Ich muss nix hören, wat‘ ich nich‘ will.“ Er deutete auf sein rechtes Ohr, seine Silbermähne hatte er für den Moment beiseite geschoben. „Behelfsohren.“ lächelte er und sie erkannte das kleine Hörgerät in der Ohrmuschel. „Dat nehm ich bei Bedarf einfach ‚raus.“
„Dann ist ja alles in Ordnung.“ antwortete sie.
„Ich glaub‘ ich hau‘ mich jetzt noch wat aufs Ohr.“ sagte der Wanderer, prüfte die Holzbank unter dem Apfelbaum mit seinen Augen und gähnte. „Aber vorher bring‘ ich den Wäschekorb wieder runter.“
„Tu das!“ gab Emilia Sonnenberger zurück und der Wanderer entfernte sich.
„Und wir…“, fügte die Hofbesitzerin mit Blick auf den erwartungsvoll zu ihr aufschauenden Kater hinzu, „…kümmern uns jetzt erstmal um euer Mittagessen. Komm, Heisenberg, gehen wir mal Gloin suchen.“
Fortsetzung folgt…
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