Katzenjammer in einer Sommernacht
Im Zwielicht zwischen Tag und Nacht verschwimmen Traum und Wirklichkeit…
Es war ein wunderbar lauer Spätsommerabend auf dem Sonnenberger Hof.
Der Wanderer saß bequem zurückgelehnt auf der Bank vor dem Bauernhaus. Vor einer Weile war die Sonne am westlichen Himmel in einem Feuerwerk von orangerosa Farbverläufen untergegangen. Geradezu meditativ hatte der Wanderer seinen Blick auf die lockeren Wolkenformationen gerichtet und jedes Fünkchen ihres Nachleuchtens im letzten Licht des Tages in sich hinein gesogen.
Seine Augenlider hinter den kreisrunden Brillengläsern halb geschlossen, die lange silbergraue Mähne zum Trocknen an der Luft nach dem Duschen offen getragen, hatte der Wanderer nur dann und wann seinen Blick gesenkt, um einen Zug aus seiner handgeschnitzten Pfeife oder einen Schluck aus seiner Tasse Kräutertee zu nehmen.
Neben ihm, die Augen vor Wonne geschlossen, lag Heisenberg auf dem Rücken und wertschätzte das sanfte rhytmische Kraulen der Hand des Wanderers schnurrend. Im Gegensatz zu seinem orangerot getigerten restlichen Körper waren Kehle, Bauch und alle vier Pfötchen schneeweiß gehalten.
Das abendliche Konzert der Singvögel war nun, da der Himmel im Westen einen kobaltblauen Ton angenommen hatte und nur noch ein dünner orangefarbener Streifen am äußersten Horizont an den vergangenen Tag erinnerte, abgeebbt und machte den Geräuschen der Nacht Platz.
„War ’n guter Tag heute.“ murmelte der Wanderer, nahm einen Schluck Tee, genoss kurz dessen intensives Aroma und sagte dann, an Heisenberg gerichtet: „Find‘ st‘ e auch, sachs‘ te? Jut.“
Der Wanderer hatte bereits zufrieden festgestellt, dass Heisenberg sich offensichtlich vollständig von seinem kleinen Unfall erholt hatte. Gestern war ihm der Kater beim Mähen der Obstwiese mit einem Knick im Schwanz kurz vor dessen Spitze aufgefallen, der ihm unnatürlich eckig vorgekommen war. Möglicherweise hatte Heisenberg sich irgendwo eingeklemmt. Jedoch blieb dem Wanderer keine Gelegenheit, sich den mutmaßlich verletzten Kater genauer anzusehen, weil dieser es vorgezogen hatte, einen weiten Bogen um den bequemen Aufsitzrasenmäher zu machen. „Immerhin scheint et‘ ihn nich‘ zu behindern…“ brummelte der Wanderer in seinen ebenso dichten wie langen weißen Bart und war weiter seiner momentanen Arbeit nachgegangen.
Der rhythmisch hin und her zuckende seidig weiche Katzenschwanz Heisenbergs sah an diesem Abend gesund und prachtvoll aus, ohne auch nur die Spur eines Knicks.
Während der Wanderer seine Pfeife sorgfältig löschte und den letzten Schluck Tee trank, ließ er den Blick über den abendlich dunklen Offenstall schweifen.
Bis auf die beiden Araber-Schimmel Lomé und Meehdyam sowie das unzertrennliche Oldie-Gespann David und Goliath mit ihrem ebenso weißen Fell waren die übrigen Bewohner des Offenstalls in der Dunkelheit kaum noch auszumachen. Nur das rhythmische Knabbern des einen oder anderen vierhufigen Kumpans an einem Heunetz war zu hören, begleitet vom leisen Konzert singender Grillen.
Die Augen des Wanderers wurden immer kleiner, schlossen sich zunehmend länger und blieben schließlich ganz geschlossen. Heisenberg drehte sich, ob der nun still verharrenden Hand auf seinem Bauch, maunzend auf die Füße und forderte die sofortige Wiederaufnahme liebevoller Zuwendungen ein. Doch vergeblich – der Wanderer war bereits weit weg und so trollte sich der Kater.
Baghira, seines Zeichens mit 32 Jahren dienstältestes Pferd auf dem Sonnenberger Hof, lehnte seinen Kopf über den Zaun und schien den Mond zu betrachten, der voll und rund sein silbernes Licht auf den Offenstall und den träumenden Wanderer fallen ließ.
Nachdem sich der Camargue-Schimmel, dessen schneeweißes Fell mit Ausnahme von Gesicht, Beinen und Schweif von einem hellgrauen Ekzemer-Umhang verhüllt war, davon überzeugt hatte, dass alle menschlichen Vertreter schliefen (denn es hätte diese nur beunruhigt…), hob Baghira seinen Kopf und begann mit tiefer und rauher Stimme zu singen, untermalt von rhythmischem Wiegen im aufkommenden sanften Abendwind:
The higher that the monkey can climb
The more he shows his tail
Call no man happy ‚till he dies
There’s no milk at the bottom of the pail
God builds a church
The devil builds a chapel
Like the thistles that are growing
‚round the trunk of a tree
All the good in the world
You can put inside a thimble
And still have room for you and me
If there’s one thing you can say
About Mankind
There’s nothing kind about man
You can drive out nature with a pitch fork
But it always comes roaring back again
Misery’s The River Of The World
Misery’s The River Of The WorldMisery’s The River Of The World
For want of a bird
The sky was lost
For want of a nail
A shoe was lost
For want of a life
A knife was lost
For want of a toy
A child was lost
Misery’s The River Of The World
Misery’s The River Of The World
Everybody Row! Everybody Row!
Misery’s The River Of The World
Misery’s The River Of The World
Everybody Row! Everybody Row!
Everybody Row! Everybody Row!
Everybody Row!
Es war eines der Lieblingsstücke des Wanderers, welches Kathleen Brennan zusammen mit Tom Waits geschrieben und letzterer mit seiner unverkennbaren Stimme im Original vorgetragen hat.
Während die letzten Töne der dissonanten Melodie im Ohr des selig schlummernden Wanderers verklangen und ihn sanft durch seinen Schlaf gleiten ließen, begann zwei Stockwerke im Bauernhaus über ihm ein ganz eigenes Spiel teils gerader und teils schiefer Töne, sich aus dem Giebelfenster in die laue Sommernacht zu ergießen. Begleitet von gedämpften, zustimmend summenden oder unwillig seufzenden Lauten einer heiseren Stimme sowie dem häufigen charakteristischen kurzen Zischen, welches ein Feuerzeug beim Anzünden einer Zigarette erzeugt, wurde behutsam und systematisch ein Klavier gestimmt.
Der Wanderer bemerkte, leise schnarchend auf der Bank vor dem Haus, davon nichts. Spät in der Nacht verklang auch der letzte nun genau richtig abgestimmte Ton ungehört. Ein hölzerner Klavierdeckel wurde sanft geschlossen, das Licht gelöscht und schlurfende Schritte bewegten sich auf das Giebelfenster zu. Leise hörte man das Klimpern von Eiswürfeln in einem Glas. Die dunkle Silhouette im Giebelfenster blickte verträumt auf den Mond und hörte das hauchzarte „Flapp-Flapp-Flapp“ von Fledermausflügeln, die ganz nah an der Hauswand vorbei flogen. Die Gestalt fröstelte und beschloss, schlafen zu gehen.
Das hölzerne Klappen von Fensterläden ließ den Wanderer aus seinem Schlaf aufwachen. Gähnend und knackend streckte er sich, bevor auch er beschloss, ins Bett zu gehen.
Fortsetzung folgt…
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