Gedanken zum Positionspapier der ver.di Bundesfachkommission Psychiatrische Einrichtungen

Speaker’s Corner: Ein Kommentar von Thorsten Dürholt (r.ü.)

Thema: Positionspapier der ver.di Bundesfachkommission Psychiatrische Einrichtungen ( https://gesundheit-soziales.verdi.de/++file++5da6d3029194fb07ccab605d/download/Positionspapier_Genesungsbegleiter_20190917_end.pdf )

Nach dem gründlichen Lesen des Positionspapieres kamen mir einige wesentliche Bedenken in den Sinn, die ich hier mitteilen möchte. Diese Gedanken sind ausdrücklich meine Meinungsäußerung auf der Basis meiner Erfahrungen und Kenntnisse.

Beteiligung von ver.di als Tarifpartner

Konkret gemeint ist der Gedanke der Beteiligung von ver.di, in ihrer Aufgabe als Gewerkschaft für Dienstleistungsberufen im Prozess der Positionierung von Ex-In in der sozial-psychatrischen Landschaft, insbesondere in Hinblick auf Tarifverträge.

Was mich daran stört ist die drohende Vereinnahmung von Seiten ver.dis und der damit einhergehende Verlust unserer Tarifautonomie. Das schadet zum einen den Personen, die sich alternative Berufsmöglichkeiten im Rahmen von Selbständigkeit oder Freiberuflichkeit aufbauen wollen, aber auch denen, die bereits berufliche Qualifikationen erworben und die EX-IN-Ausbildung zur Ergänzung, bzw. Weiterbildung genutzt haben.

Die Vorgeschlagene Eingruppierung in den Tarif des öffentlichen Dienstes mag auf den ersten Blick reizvoll sein, hat aber grundsätzliche Probleme, wie die Arbeitsstundenbindung, Urlaubsansprüche und ähnlichem. Eine feste Eingruppierung lässt sich nur schwer auf die Bedürfnisse der einzelnen Genesungsbegleiter anpassen. Gerade denen, die frei arbeiten wollen (z.B. nach Fachleistungsstunden) werden Steine in den Weg gelegt.

Auch die vorgeschlagene Tarifgruppe ist schon kritisch zu bewerten, da dort die Unterscheidung zwischen Anteilen von leichter und schwerer Arbeit erfolgt, die meiner Meinung nach keine Bemessungsgrundlage hat.

Eine „Gleichschaltung“ von Ex-INlern in einen Tarifvertrag würde zwar der Schaffung von Stellen dienen, aber meiner Meinung nach auch verhindern, dass der einzelne Ex-Inler „seine Nische“ finden kann.
Damit meine ich sowohl angemessene Bezahlung, abhängig vom individuellem Bedürfnis, Leistungswillen, Leistungsfähigkeit und – nicht zu Vergessen – persönlicher Qualifikation als auch die fallbezogene Bestimmung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen.

EX-IN Ausbildung als Ausbildung nach BBiG

Fortbildungen sollten mindestens das Curriculum des internationalen Ex/In-Projektes beinhalten (5 Basis- / 7 Aufbaumodule), über ein Jahr laufen, einen Umfang von mindestens 320 Stunden plus 2 Praktika haben und von Ex/in Deutschland zertifiziert sein. Genesungsbegleiter*innen sollten im ersten Jahr ihres praktischen Einsatzes durch Trainer*innen begleitet werden und dann ihr Abschlusszertifikat erhalten.

Positionspapier

Was mich an dieser Formulierung stört ist insbesondere der Punkt, dass die Fortbildung „mindestens das Curriculum“ enthalten soll, was die Frage aufwirft, was noch enthalten sein soll. In wie weit, welche Stelle dann Einfluss nehmen wird, was neben dem Curriculum noch enthalten sein soll, ist eine Frage, die sich mir unwillkürlich stellt.
Ist das eine Hintertür, durch die das Curriculum als Grundlage der Ex-In-Ausbildung tatsächlich beeinflusst werden kann und wird, und zwar nach wirtschaftlichen Maßstäben?
Das kann und sollte so nicht sein.
Müsste es nicht heißen, dass die Ausbildung nach dem Curriculum zu erfolgen hat und nicht, dass dieses ein Ausbildungsbestandteil sein soll?
Denn das würde eine Konkurrenz der Standorte und der Qualität der Ausbildung geradezu herausfordern und die Kommerzialisierung der Ausbildungsstandorte fördern. Ein Zustand der den Ex-In Gedanken langfristig eher Schaden als Nutzen würde.

Auch der zweite Satz,

Genesungsbegleiter*innen sollten im ersten Jahr ihres praktischen Einsatzes durch Trainer*innen begleitet werden und dann ihr Abschlusszertifikat erhalten.

Positionspapier

bereitet mir erhebliche Kopfschmerzen, da ich noch nicht erfassen kann, in welchem Umfang eine „Begleitung“ erfolgen soll. Wie soll der damit einhergehende Aufwand zum einen finanziert und zum anderen praktisch durchgeführt werden. Eine noch sehr schwammige Forderung, die sich in der praktischen Umsetzung als äußerst schwierig darstellen wird. Sie hat im wesentlichen nur den Sinn, die Ausbildung künstlich zu verlängern (um das Probejahr) um somit den Ansprüchen an Ausbildung und Fortbildung zu genügen.
Diese Methode würde allerdings nur Zeitumfang und Kosten der Ausbildung erhöhen und weder die Qualität steigern, noch den zukünftigen Ex-In-lern weiterhelfen.
Außerdem würde das eine Vereinheitlichung des „praktischen Einsatzes“ erfordern, denn was ist mit den Ex-Inlern, die im ersten Jahr nach der Ausbildung gar nicht arbeiten oder nur ehrenamtlich und gelegentlich?
Oder mit den Ex-Inlern die gerne freiberuflich arbeiten wollen, da ein festes Arbeitsverhältnis (wie in meinem Falle) mit ihrer Grunderkrankung nicht vereinbar ist?
Im Prinzip steckt dahinter nicht weniger als die Forderung nach einem Anerkennungsjahr, also einem weiteren Praktikum in Jahreslänge. Meiner Erfahrung als Erzieher nach werden solche Anerkennungsjahre dann sowohl in Vollzeit als auch zu verminderten Gehalt durchgeführt.
Wollen wir das wirklich?
Denn das beinhaltet auch die Aberkennung der bereits erworbenen Zertifikate von allen Genesungsbegleitern, die seit ihrer Ausbildung nicht in einem gewissen Stundenumfang in anerkannten Einrichtungen gearbeitet haben.

Das ist eine Entwicklung die ich mehr als bedenklich finde!

Weiterentwicklung zu einer Fortbildung nach BBiG

Der dritte und folgenschwerste Gedanke ergab sich bei mir aber aus dem Satz:

Eine Weiterentwicklung zu einer Fortbildung nach BBiG sollte angestrebt werden.

Positionspapier

Nach einem etwas längerem Blick ins genannte Gesetz stieß ich dann auf folgenden Paragrafen:

§ 53 Fortbildungsordnung
(1) Als Grundlage für eine einheitliche berufliche Fortbildung kann das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie oder dem sonst zuständigen Fachministerium nach Anhörung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Fortbildungsabschlüsse anerkennen und hierfür Prüfungsregelungen erlassen (Fortbildungsordnung).

(2) Die Fortbildungsordnung hat festzulegen
1. die Bezeichnung des Fortbildungsabschlusses,
2. das Ziel, den Inhalt und die Anforderungen der Prüfung,
3. die Zulassungsvoraussetzungen sowie
4. das Prüfungsverfahren

BBiG §53 Abs. 1 und 2

Kurz gesagt, die Prüfung zum Genesungsbegleiter würde dem Wohl und Wehe des Bundesministeriums unterworfen. Der Verein EX-In-Deutschland dürfte dann, als Berufsverband, zwar die Vorlagen erstellen, diese müssten aber den Ansprüchen des Bundesministeriums genügen.
Eine vergleichbare Qualitätssicherung des Abschlusses in Form einer Prüfung und die Gewichtung der Prüfung durch vergleichende Noten wäre dann unumgänglich.
Würde das nicht eine nachträgliche Prüfung der bisher zertifizierten Ex-Inler bedingen?
Was ist mit den Menschen, die auf Grund ihrer Erkrankung keine gewichtete Prüfung ablegen können?
Reicht es nicht, dass wir eine Portfolio-Arbeit schreiben, die bei manchen einer Bachelor-Arbeit in nichts nachsteht?
Wer wäre qualifiziert, den individuellen Lebenslauf und dessen Reflektion vergleichend zu bewerten?
Ab wann wäre eine Leistung in diesem Kontext „ausreichend“ oder besser, ab wann ist sie „mangelhaft“?
Dies alles sind Fragen, die mich bewegen und auch beängstigen.

Kommerzialisierung?

Im Prinzip würde eine Kooperation mit ver.di nur der Kommerzialisierung des Ex-In Gedankens dienen und dafür sorgen, dass die meisten Genesungsbegleiter, die einen Platz unter dem Dach Ex-In gefunden haben, wieder im Regen stehen würden.
Wem dient das? Anbietern, Klienten oder Genesungsbegleitern?

Fazit

Aus Angst vor potentieller Gleichschaltung und als Person, die die von uns gelebte Vielfalt und und Akzeptanz über alles schätzt, bitte ich persönlich und eindringlich jeden Genesungsbegleiter sich diese Gedanken auch zu machen und Stellung zu beziehen.

Denkt mal drüber nach…

Thorsten Dürholt

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben