Die Labilität des Seins
Heute beschäftigt sich der Mausebär (td) mit einem flüchtigen Gedanken und wandert auf ganz anderen Pfaden, als es den ersten Anschein macht.
Ein neues Wort schwirrt mir gerade durch den Geist – Labilität.
Ich weiß gar nicht, woher es gerade kam. Ich fuhr den Computer hoch und dachte darüber nach, über was ich schreiben möchte und über den Gedanken, etwas über das Wesen der Existenz an sich zu meditieren, kam es plötzlich über mich:
„Die Labilität des Seins“ – könnte die Überschrift zu einem philosophischen Essay sein.
Oder der Titel zu einem Song einer Gruftiband aus den frühen 90er Jahren.
Vielleicht auch zu einem der scheußlichen Gedichte, die ich in meiner pubertären „Sturm und Drang Zeit“ verbrochen habe, obwohl diese ja eindeutig von den beiden ersteren Vorschlägen inspiriert waren.
Zugegeben drücke ich mich sehr oft, vielleicht sogar meistens, etwas kompliziert aus und lasse gerne irgendwelche Phrasen meinem Mund entspringen, um diese dann mit ausschweifenden Erklärungen zu versehen.
Ein Machwerk mit dem Titel „Die Labilität des Seins“ zu beginnen, schürt große Erwartungen, denn was kann sich dahinter nur verbergen?
Die Auswahl besteht nur zwischen entweder pseudo- intellektuellem Geschwurbel, prosaisch-romantischem Gedöns oder einer inhaltsschweren philosophischen Erkenntnis.
Was es davon sein wird, liegt, wie bei vielen Dingen, mal wieder im Auge des Betrachters, oder in diesem Fall des Lesers.
Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich schon am Anfang mein literarisches Maul ganz schön aufgerissen habe.
Gierig habe ich den tiefschürfenden Gedanken in meinen Mund gestopft, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht mehr abbeiße, als ich kauen kann.
Der Geifer läuft meine metaphysischen Lefzen runter und mein Atem hechelt schwer, während ich mit dem glutheißen Brocken, der glühend aus dem Sternenhimmel meiner inneren Welt, einem Asteroiden gleich, auf den Boden meiner mentalen Tatsachen gefallen ist.
Einem Tier mehr ähnelnd als einem Menschen, reiße und zerre ich an der noch frischen Beute und versuche mit allen Nuancen meiner Sinne jedes Stück Erkenntnis aufzusaugen, während noch das frische jungfräuliche Blut meines erlegten Gedankengutes heiß über meinen zitternden Geist rinnt.
Das Wort „Labilität“ klingt in mir wie ein ferner Klang eines unbekannten Instrumentes, das eine uralte und doch neue Melodie intoniert. Ich versuche mich nicht zu verlieren, während ich mich mitreißen lasse und meinen Weg zu der tieferen Bedeutung dieses einzigartigen Klanges folge.
Wie ein Sahnebonbon, dieser einzigartigen Qualität, wie sie nur mein Großvater kaufte, oder wie es zumindest in der Werbung beschrieben wurde, lasse ich das Wort in all seinen Facetten über meine inneren Geschmacksknospen gleiten und gleich einem Weinkenner versuche ich, die tieferen Eindrücke zu verspüren.
Ich versuche, diesen Geschmackseindrücken Namen zu geben und sie zu sortieren.
Kategorien, wie wohlschmeckend oder eklig, eröffnen sich, um Teilen der gefundenen Anteile Schubladen zu verleihen, um sie für mich zu sortieren. Um die tiefsten Eindrücke zu erlangen, muss ich den Impuls, das Wort, in alle möglichen Bestandteile zerlegen, ja sogar sezieren, um all diese Informationen wieder in einer gewaltigen Komposition zu einem Crescendo der Erkenntnis zu vereinen.
Ich giere nach Abgleich, versuche, andere Worte zu finden, Informationen zu verknüpfen, Gedanken zu verweben, um ein Netz zu spannen, in dem ich die scheuen Gedanken, einem Wildtier gleich, einfangen kann.
Ich möchte den ursprünglichen Impuls erhalten – nein, festhalten, mich an ihn klammern, um ihn nicht während des kalten Prozesses des Abgleiches in der Kühle meines Archivs erstarren zu lassen.
Tot wie jede Trophäe, jedes Fundstück, jedes Präparat in den inneren Hallen der Wissenschaft, wo die spielerische Neugier plötzlich von den kühlen Wächtern der Erkenntnis zur Räson gebracht wird.
So oft ich es genieße, durch diese kühlen und imposanten Hallen zu wandern und mich mit der Präzision analytischer Gedanken und der ewigen Verknüpfung von archiviertem Wissen zu amüsieren, ist mir doch heute mehr danach, dem launigem Jäger „Neugier“ meinen Astralleib als Werkzeug für seine fröhliche Jagd zu verleihen. Teilhaftig zu werden, an den Emotionen eines jeden Bestandteils der Hatz auf das scheue Wild. Dem glockenhellem Klang zu folgen, ohne mich der Furcht der Willkür hinzugeben. Den reinen Genuss erlebbar zu machen und die Labsal, einer fröhlichen Hatz durch meine inneren Jagdgründe zu folgen, erquickt einfach meine Seele und lässt die Beute der gefundenen Erkenntnis um so heller strahlen.
Noch immer klingt das Wort in mir nach und huscht gleich einem Eichhörnchen von Baum zu Baum. Kaum kann mein Auge folgen, wo sich der kecke Gesell versteckt.
Der tiefere Inhalt wird egal, es ist die äußere schimmernde Fassade, die mich reizt. Der Klang des Wortes und wie es sich auf meinen Lippen anfühlt. Die Komposition des Satzes im Sinne einer musischen Erfahrung.
Ich wiederhole es für mich ein Dutzend mal und schrecke auch nicht davor zurück, es leise in die physische Welt zu entlassen, um zu spüren, wie es sich auf der Zunge verhält.
Ich lasse es erst allein im Raum stehen und sende es erneut auf die Reise, diesmal im Geleit seiner Geschwister, der anderen drei Worte, die die Phrase „ Die Labilität des Seins“ bilden, die heute die Überschrift, ja sogar das Credo, meines Textes sein sollen.
Schon lange habe ich die Ebene verlassen, auf der ich diese Worte für jemanden analysieren würde. Ich lasse es klingen und suche danach, wohin mich die Schwingungen tragen.
Und trotz der Vorbehalte, die aus den Tiefen des Zensurbüros meines Inneren dringen, kann ich nichts Böses in dem Klang erkennen.
Die Bedeutung mag vielleicht ein furchtbares Monster sein, aber das Gewand, in das sich dieses Monster kleidet, vermag mich zu entzücken und ein Stück weit auch zu entrücken.
Ich hoffe darauf, dass ich das nächste Mal, wenn ich über meine eigene Labilität nachdenke, ein Stück dieser Ästhetik wiederfinde und mich daran erinnere, dass nicht alles dunkel ist an der Labilität.
Diese Erkenntnis möchte ich behalten, dass nicht alles schlecht ist, sondern auch Gutes und Kunstvolles, gar Starkes, darin liegen kann – und sei es nur der Klang.
Vielleicht macht mich dieser künstlerische Friedensschluss mit dieser Nemesis, die in mir liegt, ein klein wenig stärker, zufriedener und glücklicher.
Ich sollte öfter mit den Worten, die mein Leben bereichern – denn das tun sie alle – so umspringen, das macht mich zufrieden und erfüllt mich mit Harmonie. Vor allem aber nimmt es dem Wort den Schrecken – der niemals im Wort selbst, sondern in der Bedeutung liegt – und Bedeutung ist schließlich nur Interpretationssache.
Ich überlasse es jetzt anderen, mit meinem Titel „ Die Labilität des Seins“ zu spielen. Möge jeder daraus machen, was ihm in den Sinn kommt.
Vielleicht habe aus diesem Text heute mal nur ich selber, für mich ganz persönlich, etwas gelernt, vielleicht auch nicht, aber vorkauen werde ich heute nichts, denn schließlich habe ich ja keinen Platz, da ich meinen Mund schon zu Beginn zu voll genommen habe.
Mit gerade sehr zufriedenen Grüßen von Eurem Mausebär (td)
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