Mal wieder diese Grenzen
Ein grenzenloses Thema, Rollen und Grenzen, frisch aufgebrüht vom Mausebär (a.k.a. Thorsten Dürholt)
Schon wieder bewegt mich das Thema Grenzen.
Doch diesmal ist es persönlicher.
Der Gedanke fing dabei eigentlich recht objektiv an.
Ich dachte vorhin darüber nach, was mein heutiges Thema sein wird.
Eigentlich wollte ich aus gegebenem Anlass etwas über Feiertage schreiben. Ein ungutes Gefühl stieg in mir auf.
Eine wahre Hassrede sprudelte vor meinem geistigem Auge aus mir raus. Es ging um die verlogene Doppelmoral christlicher Feiertage in unserer Gesellschaft. Ja, sogar über die menschenverachtende Einstellung des organisierten Christentums.
Doch dann griff ein sonst eher ruhiger Geselle aus meinem inneren Team ein. Er stellte die richtigen Fragen:
„Was hat das auf dieser Seite verloren?“
„Wem hilft dieser Text auch nur im geringsten weiter?“
„Verletzt Du damit nicht Gefühle?“
„Warum willst Du diesen Text überhaupt schreiben?“
Zweifel kamen bei mir auf und ich fragte mich, warum diese Stimme plötzlich mit mir sprach.
Tatsächlich fühlte ich mich sogar sanft, aber überheblich gemaßregelt.
Und plötzlich fiel eine andere Stimme ein. Eine bekannte Stimme aus meinem inneren Team schrie plötzlich auf:
„Warum lässt du dir das bieten, ist es nicht deine Entscheidung, welches Thema Du wählst?“
„Stichwort Meinungsfreiheit – du lässt dir doch wohl nicht den Mund verbieten?“
„Überhaupt, wer bestimmt denn, was erlaubt ist und ist deine Meinung weniger wert, als die von anderen Menschen?“
„Wie willst du etwas ändern, wenn du es nicht anprangerst?“
Ich war eine geraume Zeit völlig gebannt, während ich der darauf folgendem Diskussion in meinem Kopf lauschte.
Was war denn da passiert?
Es geht um Grenzen
Zwei Grenzproblematiken sind kollidiert.
Was meine ich damit?
Nun, obwohl ich genau dieses Problem sogar tatsächlich mal unterrichtet habe, bin ich noch lange nicht perfekt im Umgang damit. Trotzdem will ich es kurz erklären:
Das, was in meinem Kopf gerade vorgeht (Ja, es brodelt immer noch im Hinterkopf, aber ich habe die Versammlung einfach mal verlassen, um zu schreiben.), nennt man in den Sozialwissenschaften einen Rollenkonflikt – spezifisch gesagt sogar einen Inter-Rollenkonflikt.
Rollen sind in der sozialwissenschaftlichen Praxis definiert als ein Paket von Erwartungen, die auf eine benannte Position, also der Rolle, projiziert werden. Gerne reden wir dann von sogenannten Rollenmodellen, also der perfekten Vorstellung davon, was der Träger einer gewissen Rolle leistet. Wir alle nehmen in unserem Leben eine Reihe von Rollen an, z.B. bin ich Genesungsbegleiter, Sohn, Freund und noch vieles anderes. Kollidieren nun die Erwartungen von verschiedenen Rollen, dann spricht man von einem Inter-Rollenkonflikt. Ein gängiges Beispiel ist der Lehrer, der seinen eigenen Sohn zum Schüler hat. Hier kollidieren zeitweise die Erwartung, dass er, als Lehrer, alle Schüler gleich behandelt, mit der Erwartung, dass er sich als Vater besonders um die Erziehung seines Sohnes bemüht.
Was ist jetzt bei mir passiert?
Zwei Rollen kollidieren gerade kräftig, und zwar der Genesungsbegleiter und der „Verbalterrorist“ (Alex würde sagen, das „innere Känguru“.).
Der Genesungsbegleiter sieht sich in der Verantwortung, den Autoren dran zu hindern, die Grenzen seiner potentiellen Leser zu überschreiten. Anders gesagt, ich habe die Verantwortung übernommen, diese Texte so zu schreiben, dass der Leser zwar zum Nachdenken angeregt wird, aber nicht unbedingt provoziert wird. Diese Rolle sagt mir eindeutig: „Lass die Finger von dem Reizthema Religion! Das führt zu nichts Gutem!“.
Dann kommt die Rolle des „Verbalterroristen“. Das ist der kleine gereizte Mann, der immer die Kommunikationsbombe dabei hat (sogar teilweise als suizidalen Sprengstoffgürtel), um mich an meine Aufgabe zu erinnern, gegen „das Böse“ in der Welt zu kämpfen.
Wer mich kennt, weiß, ich bin ein großer Verfechter der uneingeschränkten Meinungsfreiheit. Sagt jemand zu mir: „Das kann man so nicht sagen!“, lautet meine Antwort, ganz klar „Doch, hörst du doch!“.
Hurra, Konflikt!!!
Was hat das jetzt konkret mit Grenzen zu tun?
Nun, es gibt zwei Arten von Grenzüberschreitungen, bzw. zwei Wege der Grenzüberschreitung. Man kann fremde Grenzen überschreiten oder die eigene Grenze wird überschritten.
Und in dem Fall habe ich die Wahl zu treffen, ob ich potentiell die Grenze meiner Leser überschreite, oder halt meine eigene Grenze.
In vielen Fällen überschreite ich zur Zeit meine eigenen Grenzen.
Sei es, wenn meine Mutter an meinem Arbeitszimmer klopft, ihr zu erlauben einzutreten, obwohl ich gerade beschäftigt bin.
Sei es durch die Situation mit dem Pflegedienst meiner Frau, die 24 Stunden am Tag bei mir rumwuseln.
Freundlich lächelnd gebe ich mich sehr oft geschlagen und scheiß‘ auf meine Grenzen.
Alle paar Wochen wird mir dann der Haufen zu groß und ich miste aus. Dabei spritzt es dann in alle Richtungen. Ich werde unleidlich, laut und beleidigend – im allgemeinen also unfair.
Seit Jahren arbeite ich nun an meinem eigenem Grenzschutz. Ich helfe sogar anderen bei dieser Arbeit. Mühsam mache ich Fortschritte.
Und jetzt?
Jetzt überschreite ich eine meiner wichtigsten Grenzen, nämlich das Recht alles sagen zu dürfen und mir nicht den Mund oder meine Meinung verbieten zu lassen.
Und ich schände heute diese Grenze aus gutem Grund:
Nicht wegen meiner eigenen Erwartungen als Genesungsbegleiter an mich!
Nicht aus Angst vor der redaktionellen Diskussion!
Nicht aus Furcht vor einem Shit-Storm!
Nicht um einen meiner Leser zu schützen!
Der Grund ist schlichtweg, das mein Blatt für heute jetzt voll ist.
Ich bin fertig.
Mit provokanten, aber lieben Grüßen,
Euer Mausebär (a.k.a. Thorsten Dürholt)
Schreiben Sie einen Kommentar