Grenzerfahrungen Episode X – Der Zorn des Mausebärs

Ein Beitrag zum Thema innerer Grenzen und Wut, am Beispiel von dem leicht zerknitterten Mausebär (a.k.a. Thorsten Dürholt).

Ich habe heute eine unangenehme Erkenntnis getroffen.
Besser gesagt wäre eigentlich, diese Erkenntnis hat mich getroffen, denn ich fühle mich davon betroffen.
Eine Reihe von kleinen Beobachtungen haben mich zum Nachdenken geführt. Ich bemerke an mir, dass ich unausgeglichen und aggressiv bin. Von jeder Kleinigkeit fühle ich mich angegriffen und gehe, zum Glück meist innerlich, an die Decke.
Aber immer mehr drängt sich dieser Zorn auch nach außen. Und während ich mich frage, warum ich zornig bin, rät mir mein innerer Therapeut in meinem Kopf dazu, die Sache doch mal logisch zu analysieren.

Ich versuche also, der Sache auf den Grund zu gehen.
Heute hatte ich drei Momente, in denen mich ein innerer Zorn überkam.

Zuallererst war die Situation, dass mich der Pflegedienst aufforderte, bei einem Arzt ein Rezept abzuholen.
Das passte mir zeitlich gar nicht ins Konzept. Ich habe diese Woche schon genügend Termine und Verpflichtungen. Der Arzt hat auch nur von 8 Uhr Morgens bis 13 Uhr geöffnet. Das ist so gar nicht meine Zeit.
Ich fand es gemein und unfair, dass ich mitten in der Nacht durch die niederrheinische Botanik fahren soll, um mich dem Stress einer Arztpraxis auszusetzen. Das Ganze noch unter zeitlichen Druck, weil das Medikament ja spätestens Donnerstag geholt werden muss. Ich mag es nicht, wenn andere Leute über meine Zeitplanung entscheiden.
Rigoros habe ich „Nein“ gesagt.
Innerlich tat mir der Mitarbeiter leid, der meinen göttlichen Zorn spüren musste. Aber ich wollte keinen Millimeter weichen.
Ich entzog mich dann der Situation und flüchtete in meine Privatgemächer, um zu arbeiten.
Der Pflegedienst fand eine Lösung, aber halt erst, nach dem ich ruppig geworden war.

Das macht mir keine Freude.

Später lenkte ich mich ein wenig mit dem Konsum von Facebook-Post ab und es geschah etwas, was mir nahezu unmöglich erschien.
Zum ersten Mal überkam mich kalte Wut beim Lesen eines Beitrages.
Ich schrieb einen bitterbösen Kommentar. Dieses Verhalten finde ich absolut nicht akzeptabel.
Normalerweise lächele ich milde, scrolle weiter und suche mir was erfreuliches.
Normalerweise lässt mich anderer Menschen Meinung einfach kalt.
Aber heute nicht, es war einfach der eine dumme Post zu viel. Noch nicht einmal etwas besonderes, sondern einfach nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.
Ich traue mich schon gar nicht mehr auf meine Profilseite, weil ich einen gerechtfertigten „Shitstorm“ befürchte.
Aber auf der anderen Seite habe ich auch Angst, mich wieder der Realität zu stellen, dass mein Kommentar wieder keine Sau interessiert.
Ich habe quasi eine Lose-Lose-Lose Situation vor mir, denn findet jemand den Beitrag schlecht, fühle ich mich verletzt, weil meine Gefühle missverstanden werden, findet jemand meinen Beitrag gut, schäme ich mch, weil ich zu den selben Aufhetzern gehöre, die ich sonst verdamme und kommentiert niemand meinen Kommentar, dann fühle ich mich unbeachtet und bedeutungslos.
Genau aus diesem Grund kommentiere ich selten und am wenigsten auf Facebook.

Aber heute hatte mich der Zorn fest im Griff.

Der letzte Fall des Tages war dann in in unserer heutigen Sitzung der Selbsthilfegruppe.
Ich bat darum, ein spezielles Thema nicht zu thematisieren, weil es mich ungünstig triggert, aber meine Bitte wurde missachtet.
Das ist natürlich mein Problem. Wahrscheinlich habe ich falsch kommuniziert.
Ich dachte, ich hätte schon in der Befindlichkeitssrunde deutlich gemacht, dass ich Abstand von dem Thema brauche und ich den Umgang damit weder als produktiv empfinde, noch als aushaltbar.
Trotzdem wurde einige Minuten darüber fröhlich doziert, während ich mich mental ausklinkte und kurz davor war, auch die digitale Leitung zu kappen.
Ich ließ es aus Respekt vor der Gruppe, bereute dieses aber, da ich kurz darauf, als ich mich wieder thematisch einbrachte von der selben Person des Wortes enthoben wurde und mir ähnliches vorgeworfen wurde, von dem mich nur wenige Minuten vorher unangenehmst getriggert gefühlt hatte.
Mein innerer Revolutionär hielt in mir eine kurze flammende Rede über „zweierlei Maß“ und „Missachtung“ und ein geraumer Teil meines inneren Teams beschloss, den Rest des Treffens geschlossen zu boykottieren.
Ich brachte das Treffen aufgrund meines Respektes vor den Teilnehmern zu Ende, trotz des schalen Geschmackes in meinem Mund.

Zum Glück verliefen die beiden nächsten sozialen Kontakte sehr erfreulich.

Ich hatte noch ein produktives Telefongespräch mit einer der Teilnehmerinnen, was mir mehr brachte, als das heutige Treffen und konnte noch Online mit lieben Menschen eine Runde Brettspiel spielen. Beides holte meinen inneren Revolutionär so langsam wieder von der Palme. Und während ich die mitgebrachte Kokosnuss schlürfte, begann ich zu reflektieren.

Ich war nicht sauer auf jemanden – ich war sauer auf mich.
Seit Tagen gehe ich immer wieder über meine persönlichen Grenzen und erlaube diese Übertretungen auch anderen Menschen.
Das kostet mich soviel Energie, dass mein innerer Grenzschutz mittlerweile auf Alarmbereitschaft geschaltet ist.
Zwar hat niemand die Absicht eine Mauer zu errichten, aber der Schießbefehl wurde ausgegeben.

Es ist wieder an der Zeit, dass ich mehr auf meine Bedürfnisse achte.

Ich muss meine Grenzen besser kommunizieren.
Seit einiger Zeit arbeite ich jetzt sieben Tage in der Woche und bin mir nicht zu schade, meine Aktivitäten hier auch als Arbeit zu bezeichnen.
Die Mitglieder der Redaktion haben alle schon begründet, warum sie zwischendurch Pause brauchen, aber wie ein Getriebener versuche ich, ein Versprechen einzulösen.
Ich denke dabei nur an mich und gleichzeitig nicht an mich selbst.

Schon gestern habe ich beschlossen, nur noch fünf Texte die Woche zu schreiben.
Es wird nur noch Werktags ein neuer Beitrag vom Mausebär erscheinen.
Ich muss einfach die Redaktion entlasten.
Ich muss mich entlasten.
Ich brauche meine Tage für mich, für meine Freunde, für meine Hobbys und zum schlafen.
Ich sehe das weder als Entschuldigung, noch als Ausrede. Ich weiß, ich könnte meine Redaktion anstacheln, weiter täglich mit mir zu arbeiten, aber ich schade damit uns allen.

Ich möchte jetzt die Ereignisse des Tages für mich ablegen und die nächsten Tage, die voller Termine sind, einfach gut durchstehen.
Und dann werde ich am Wochenende mich einfach mal pflegen.

Ein Teil von mir ist jetzt tot-unglücklich. Ich fühle mich wie ein Versager.
Ich hatte mir etwas vorgenommen und kann es nicht zu Ende bringen.
Warum nicht?
Weil ich mich überschätzt habe!

Das passiert mir häufiger.
Ich habe mehr abgebissen als ich kauen kann und jetzt habe ich nur zwei Optionen – schlucken oder spucken.
An meiner Figur kann jeder erraten, welche Option ich meistens wähle, aber diesmal nicht.
Irgendwann muss auch ich erkennen, das es Zeit ist, mal etwas anderes zu versuchen.
Damit spucke ich jetzt diesen Text tief aus mir raus und damit all das Gift, was gerade in mir ist.
Ich will nicht zornig sein!
Ich will nicht ungeduldig sein!
Ich will nicht unfair sein!

Ich bin auf niemanden sauer und auch nicht beleidigt – ich brauchte diesen Text als Befreiungsschlag.

Ich merke, wie es mir langsam besser geht.
Auch heute werde ich die Kommentarfunktion abschalten, weil ich weder Feedback zu, noch Diskussion über, das Geschehene haben möchte.
Das würde mich nur in die falsche Richtung zerren.
Ich werde mir wieder eine gemütliche Distanz schaffen, mir Zeit nehmen für die anderen Baustellen in meinem Leben und wieder zu meiner inneren Ausgeglichenheit zurückfinden.
Und solange mich niemand für meine Arbeit entlohnt, habe ich dabei auch nicht die geringste Form von schlechtem Gewissen.

Mit zurückhaltendem Gruß aus 1,5m Sicherheitsabstand,

Euer Mausebär (a.k.a. Thorsten Dürholt)

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