Kommunikation hat vier Ohren – auch wenn man nur mit einem hinhört

Ein Beitrag aus der Kategorie „Aspergers Nähkästchen“ über kommunikative Besonderheiten des Schmusehamsters (ak)

Der Paderborner Comedian Rüdiger Hoffmann hat in einem alten Bühnenprogramm, zusammen mit dem Kölner Kabarettisten Jürgen Becker, welches den humorigen Vergleich von Westfalen mit dem Rheinland zum Thema hatte, die Hoffmanns Meinung nach einzige nennenswerte Sehenswürdigkeit Paderborns, das berühmte „Drei-Hasen-Fenster„, zu sehen am Paderborner Dom, mit den Worten beschrieben: „Es sind der Hasen und der Ohren drei und doch hat jeder Hase zwei.“

Von einer ganz ähnlichen Erfahrung möchte ich Euch heute berichten.

Per Chatprogramm über das Smartphone habe ich mich mit einem meiner wertgeschätzten Mitmenschen über dieses und jenes unterhalten. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte unser digitaler Dialog, als mir mein Gesprächspartner, mit flammender Leidenschaft in der Stimme, seinen Lieblingsfilm, ein Liebes-Melodram, mit zwei bekannten Schauspieler*Innen in den Hauptrollen, vorstellte. Garniert wurde dieser kleine Vortrag durch einen Link zum offiziellen Trailer des Films, verbunden mit der Frage an mich, was ich von dem Film halten würde.

Auf dem Sprung nach Irgendwohin entschied ich mich für eine, meiner Meinung nach, unverfängliche Antwort, welche ich hier ausnahmsweise wörtlich zitieren möchte:

„Ja, ich habe von dem Film gehört, ihn aber selbst noch nicht gesehen.“

Reaktion meines Chatpartners: Funkstille.
Nach etwa 36 Stunden bekam ich eine Sprachnachricht zurück. Mein Gesprächspartner erklärte mir, dass ihm meine o.g. Antwort noch lange im Kopf herum gegangen sei. Wieder und wieder habe er meinen Satz gelesen, ihn kreuz und quer analysiert, sich aber – mit Ausnahme der „reinen“ Sachinformation, nämlich, dass ich von dem angesprochenen Film zwar gehört, ihn aber nicht gesehen hätte – keinen rechten Reim bzgl. der Interpretation machen könne.

Einmal mehr führte mir dieser Vorfall vor Augen, wie unterschiedlich meine Kommunikationsweise als Betroffener von Asperger im Vergleich zu Nicht-Betroffenen ist. Es wunderte mich nicht, dass an diesem Punkt in meinem inneren Team die Stimme meines Recovery-Ichs, übrigens mit der Klangfarbe des Mausebärs, ertönte und mich sanft, aber bestimmt an das „Vier-Ohren-Modell“ der Kommunikation (nach Friedemann Schulz von Thun aus seinem Werk „Miteinander Reden“) erinnerte, welches ich im „Montagskurs“ der PHG Viersen intensiv kennengelernt hatte.

Das „Vier-Ohren-Modell“ postuliert, dass jede zwischen Sender und Empfänger ausgetauschte Nachricht in vier Kanäle [oder Ebenen oder „Ohren“ – Anmerkung meines inneren Kängurus] zerlegt werden kann. Dabei ist es egal, ob der Sender – in diesem Falle ich – dies will oder nicht.
So wie das Licht immer und überall stets 299.792.458 m/s schnell ist, unerheblich, wo und in welchem Zustand sich der Messende gerade befindet, enthält jede Nachricht, egal ob analog gesprochen oder digital geschrieben, immer diese vier Ebenen:

  • Sachinformation
    Welche nüchternen Fakten werden mit der Nachricht transportiert?
  • Beziehungsebene
    Welches Verhältnis haben Sender und Empfänger der Nachricht zueinander?
  • Appell-Ebene
    Was möchte der Sender der Nachricht bei deren Empfänger erreichen?
  • Selbstoffenbarung
    Was sagt die Nachricht über den Sender aus?

Von diesem Modell ausgehend, ist es schlicht unmöglich, eine reine „Sach-Information“ zu übermitteln. [Selbst das gedruckte oder gesendete Wort tut dies nicht, was Generationen an Deutsch- oder allgemein Sprachen-Lehrern über die Interpretationsmöglichkeiten von Texten und Medien ihren Job garantiert und ahnungslose Schüler, Mutter- wie Fremdsprachler, drangsaliert. – Anmerkung meines inneren Kängurus] Das Problem bei jedem Dialog ist jedoch, dass sich nur die Sach-Ebene direkt offenbart, das heißt, durch ausformulierte Worte, ob mündlich oder schriftlich. Die übrigen, für ein komplettes korrektes Verständnis so wichtigen drei Kanäle, verstecken sich primär hinter Körpersprache, Klangfarbe, Betonung und anderen nonverbalen Kanälen. Sie sind auf diese Weise gewissermaßen unsichtbar, aber fühlbar. Fällt eine – oder fallen mehrere – Kommunikationsebenen weg, weil man zum Beispiel nicht persönlich voreinander spricht, sonder per Medium, sei es das gute alte rein akustische Telefon oder, wie in diesem Fall, das schriftliche Chatprogramm, entsteht schnell ein Dilemma.

Wie kann ich am Telefon erkennen, mit welcher Mimik und Gestik das gesprochene Wort einher geht?
Wie kann ich aus zu Worten und Sätzen geformten Buchstaben mehr als die „reine“ Sach-Ebene einer Nachricht herauslesen?

Ich könnte jetzt sagen, gut, letzteres war die Geburtsstunde der ersten Emojis, die heutzutage ja für fast jede Lebenslage vorproduziert scheinen. Aber mal ehrlich:
Sind Emojis etwas anderes als schlecht kolorierte und allzu simpel oder einfältig gestaltete Masken?
Können Emojis echte Gefühle transportieren?
Wie verziere ich mein sprachliches Gebäude durch stilbildende Elemente wie Humor, Ironie oder gar Sarkasmus?

An dieser Stelle erscheint eine Szene aus der bekannten US-amerikanischen Sitcom „Big Bang Theory“ vor meinem geistigen Auge:
Sheldon Cooper, der zwar hochintelligente, doch mit einer Vielzahl von Schrullen und handfesten psychiatrischen Befunden ausgestattete, Protagonist und Zugpferd dieser Serie [Sorry, Leonard & Penny! – Anmerkung meines inneren Serienjunkies], bekommt von seinen wohlmeinenden Freunden ein selbstgebasteltes Schild überreicht, welches ihm fortan immer dann vor die Nase gehalten werden soll, wenn eine Aussage oder Handlung seiner Freunde als „Sarkasmus“ gemeint ist.
Auch wenn die Figur des Sheldon Cooper natürlich gnadenlos und publikumswirksam überzeichnet angelegt ist, fiel es mir schon weit vor meiner Recovery nicht schwer, mich in Teilen in diesem Charakter wiederzuerkennen.
Aber zurück zum Thema:

Selbst der Videochat, der sich in den aktuellen Zeiten geradezu viral wachsender Beliebtheit zu erfreuen scheint, kann, wie wir alle gegenwärtig spüren, die Authentizität eines persönlichen Treffens nicht ersetzen, wenn es auch die mir gegenwärtig beste Annäherung darstellt. Allerdings ist auch Madrid schon deutlich näher an Amerika als Köln – und somit zweifellos eine gute Annäherung – aber bei weitem nicht die Beste. Und selbst Kuba ist von Miami weit genug weg, dass es für mich selbst mit Schwimmflügeln eng wird.

Genau dies ist mir im genannten Dialog über den besagten Film zum Verhängnis geworden.
Ich hatte die Absicht, nur die „reine“ Sachinformation zu transportieren. Diese kam zweifelsohne bei meinem Gesprächspartner auch an und wurde bestätigt. Der Rest jedoch verwehte in verwirrtem Schweigen…

Was bringt mich überhaupt dazu, nur über die Sachebene kommunizieren zu wollen?
Ein wenig Selbstreflexion, unterstützt durch das eine oder andere erinnerte Gespräch an unterschiedlichen Stationen meines Lebens, brachte mich schnell zum Ergebnis.
Ich versuche, Missverständnissen vorzubeugen.
Ich habe es manchmal schlicht satt, gefühlt dauernd missverstanden zu werden, oder andere Menschen misszuverstehen.

Dies führt dazu, dass ich früher regelmäßig gesagt habe – und auch heute noch oft genug sage – , dass ich eine Nachricht „ohne Subtext“ meine. Dass ich nichts „zwischen den Zeilen“ formuliere.

Der Grund liegt in meiner, durch Asperger bedingten, leicht anderen Art, Nachrichten zu empfangen oder zu versenden, wie ich heute weiß. Dies war den größten Teil meines bisherigen Lebens aber nur als eine gewisse kommunikative Inkompatibilität spürbar, für den in aller Regel meine Umwelt mich verantwortlich machte. Denn schließlich bestand dieses „Problem“ bei der Mehrzahl meiner Mitmenschen ja nicht. Gerade als Kind führte dies dazu, dass ich sozial immer etwas abseits stand.

Die wertschätzende Nachfrage meines Gegenübers im beschriebenen Dialog über dessen Lieblingsfilm habe ich dann ganz plakativ für mich „übersetzt“ und jeden der drei von mir sträflich vernachlässigten Kanäle wörtlich ausformuliert, zunächst für mich, danach etwas gekürzt, aber immer noch in Worten, per Antwort im Chat mitgeteilt:

  • Beziehungsebene
    Wir sind vertrauensvolle Freunde, die miteinander ihre Freizeit teilen.
  • Appell-Ebene
    Bitte teile mir mit, wie Du den Film findest!
    Bitte sieh Dir mit mir diesen Film an!
  • Selbstoffenbarung
    Der Film macht mich glücklich und ich möchte mein Glück mit Dir teilen.

Während meiner „Übersetzung“ musste ich mir eingestehen, dass mein kommunikativer Kompass durchaus beim ersten Dialog mit meinem Mitmenschen über den Film auf allen vier Ebenen in die richtige Richtung gewiesen hat, wenn die nonverbalen Ebenen auch mit einer gewissen „Unschärfe“ verbunden waren. Die von mir versuchte „Verstümmelung“ meiner Nachricht auf die „reine“ Sach-Ebene scheint mir eine Art von „Fluchtverhalten“ zu sein, genährt aus meiner über viele Jahre aufgebauten Angst vor kommunikativer Unsicherheit – darin gipfelnd, dass ich selbst zu oft für diese Unsicherheit zur Rechenschaft gezogen worden bin.

Schließlich habe ich meinem Dialogpartner eine Sprachnachricht geschickt, in welcher ich den „verkümmerten“ drei Kommunikationsebenen meiner ersten Nachricht vollen Raum einräumen wollte, sich zu entfalten. Geschafft habe ich das so halb – nein, eigentlich nicht wirklich!

Was ich sagte, war nämlich, diesmal reicht es sinngemäß:

  • Beziehungsebene
    Wir sind gute Freunde und verbringen unsere Freizeit miteinander.
  • Appell-Ebene
    Bitte nötige mich nicht, diesen Film anzuschauen!
    Bitte sei deshalb nicht gekränkt!
    Bitte entschuldige meine kommunikative Unzulänglichkeit!
  • Selbstoffenbarung
    Mich spricht dieser Film nicht so an, dass ich ihn mir anschauen möchte.
    Es freut mich ehrlich, dass Dich dieser Film so glücklich macht.
    Ich bin unsicher bezüglich meiner Art zu kommunizieren.

Denn ich habe meine Antwort auf allen drei Ebenen in gesprochenes Wort ausformuliert – also mitnichten „zwischen den Zeilen“ verwendet, wo diese Ebenen gemeinhin hingehören!

Die richtigen Antworten an der falschen Stelle einzusetzen, führt, wie wir alle aus unseren Tagen hinter der Schulbank wissen, nicht zwangsläufig zu guten Zensuren. So muss ich konstatieren, dass ich meine Nachricht zwar gewissermaßen vollständig nacherzählt und meine Interpretation formuliert habe, was es meinem Gesprächspartner ermöglicht hat, nachträglich meinen Gedankenprozess nachzuvollziehen, aber authentisch herübergebracht – gewissermaßen via „method acting“ – war das nicht. Vielmehr habe ich – um im Bühnen-Bild zu bleiben – das Skript vor Augen, den Text ohne Betonung heruntergeleiert, nach jeder Zeile eine unnatürliche Pause einlegend. Und die Regieanweisungen mitgelesen. Genuss ist anders!

Vielleicht ist diese kommunikative Unsicherheit der Preis für die etwas feineren psychischen Antennen, die man Betroffenen gerne nachsagt und über die ich definitiv verfüge. Jedoch fällt es mir schwer bis unmöglich, diese Antennen bei mir selbst und meiner Kommunikation ähnlich zielführend einzusetzen, wie in meiner Umwelt. Aber ich lerne, so weit es für mich erfahrbar ist.

Zurück bleibt bei mir die Frage, was denn nun wirklich zwischen den Zeilen meiner ersten und erst recht meiner zweiten Antwort an meinen Chatpartner, hinter der Sach-Ebene, enthalten war. Über die Aussagen dieser drei Ebenen nachzudenken, wird mich noch eine Weile beschäftigen.
Wenn ich es erfahren sollte, werde ich es gerne mit Euch teilen und Ihr könnt es hier lesen. Aber das ist Stoff für einen anderen Film…

Bis dahin, fühlt Euch umarmt,

Euer Schmusehamster (ak)

2 Kommentare

  • Lieber Schmusehamster,
    Seit ich bewusst im Austausch mit Menschen stehe, die ein diagnostiziertes „Asperger-Syndrom“ (ich weigere mich hier von einer „Krankheit“, „Störung“ oder „Behinderung zu sprechen – da ich es als etwas anderes wahrnehme) habe, war ich vielen tollen Lernprozessen ausgesetzt. Meine erste Begegnung mit einem „Asperger“ war ein Charakter aus der Fernsehserie „Boston Legal“ der meiner Meinung nach ein wenig überzeichnet war.
    Erst durch den Kontakt mit dem Polarbär lernte ich die Problematik eines „Aspergers“, dank seiner guten bildhaften Beschreibung, nachzuvollziehen, in dem Rahmen in dem mir das als nicht-Betroffener möglich seien kann. Ich verstand, dass das Gehirn eines „Aspies“ einfach mit einem anderen Betriebsprogramm läuft, als das Gehirn eines „normalen“ Menschen.
    Quasi lebt der „Aspie“ wie ein MacOS-User in einer Welt voller Windows-Kontakten. Es gibt gewisse Kompatibilität, aber jedes Signal will in ein anderes Schema übersetzt werden. Mir wurde selber klar, dass ich in diesem Beispiel ein Linux- User war. Nachdem ich mich mit dem Polarbär ausgetauscht habe und er seht offen und direkt meine Fragen beantwortet, konnte ich ein gutes Script schreiben, mit dem ich seine Kommunikation einfach und angenehm empfangen kann. Das macht ihn zu meinem bevorzugten Kommunikationstrainer, da seine Art der Kommunikation und auch die Art wie er von mir Kommunikation einfordert, mich selber weiter entwickelt hat. Ähnliches macht jetzt auch der Schmusehamster bei mir. Ich amg diese Kommunikation und freue mich über die Freunde mit dem Betriebssystem „Aperger“ in meinem Umfeld, denn diese Programm ist gut vereinbar mit meinem System, ausgestattet mit dem Komunikationssystem MbKl.
    Viele Vorteile im Kontakt mit sogenannten „Asbärgern“ haben mich davon überzeugt, dass wir es wie eingangs erwähnt nicht mit einer Störung zu tun haben, sondern „nur“ mit einem Kommunikationsphänomen. Hier zählt wie immer, Behindert ist man nicht, sondern wird man (von der Gesellschaft).
    Gruß und Kuss,
    Der Mausebär (a.k.a Thorsten Dürholt)

    Antworten
  • Hmmm?
    Lieber Alex.

    Als ich deine erste antwort auf die anfrage deines Chatpartners gelesen habe, war mir Absolut klar was du gesagt und gemeint hast.
    Deine antwort war doch unmissverständlich.
    Ja ich habe von dem Film gehört ihn aber nicht gesehen.Was gibts denn da noch zu Interpretieren,war doch ne klare Aussage.
    Alles was danach kam,die einbeziehung des Herrn von Thun,und das genze daraus erfolgende hin und her überlegen, un wat nich all. Ist für mich Unnötiges,verkompliezieren einer ganz einfachen Aussage.
    Leute ….dat Leben is Kompliziert jenuch,macht dat doch nich noch Komplizierter.

    Wohlwollend lächelnd
    Gandalf

    Antworten

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