Wenn Stierexkremente sich richtig reihen

Aus Spiel wird heute Ernst, während der Mausebär (td) die Spielregeln erklärt, mit denen sein inneres Team ihn ärgert.

[LIVE und liebevoll lektoriert vom Schmusehamster (ak) um 22:36 MESZ]

Den heutigen Tag widme ich einem ganz besonderem Spiel.
Es ist eine Variante des bekannten Gesellschaftsspieles „Bingo“. Obwohl ich denke, dass fast jeder „Bingo“ eigentlich kennen sollte, werde ich es der Vollständigkeit halber kurz zusammenfassen.
Bei dem Spiel bekommt jeder Mitspieler eine Bingokarte (oder mehrere, je nach Absprache). Auf diesen Karten sind 16 Felder mit eingetragenen Zahlen (meist zufällig bestimmt), die in vier Reihen zu jeweils vier Spalten (also gleichmäßig) auf der Karte verteilt sind.
Ein Mitspieler betätigt einen Zufallsgenerator, der eine beliebige Zahl aus dem Zahlenraum, aus dem auch die Zahlen auf der Karte stammen, generiert.
Diese Zahl wird durch einen Ansager (der neutral ist, also keine Karte vor sich hat) verkündet und alle Mitspieler prüfen, ob sie diese Zahl auf ihrem Bogen haben.
Sollte diese Zahl in einem der 16 Felder auftauchen, wird sie vom Spieler markiert.
Hat nun einer der Spieler vier markierte Zahlen in Reihenfolge, entweder horizontal, vertikal oder diagonal, ruft er laut „Bingo“.
Der Ansager, welcher auch als Schiedsrichter fungiert, prüft die Richtigkeit anhand seiner Aufzeichnungen der ausgerufenen Nummern (ja, die sollte er sich notieren) und wenn diese mit jenen markierten Ziffern auf dem Spielschein des Rufenden identisch sind, hat dieser Mitspieler die aktuelle Runde gewonnen.

Dieses Glücksspiel wird gerade in den Vereinigten Staaten als gerne genutzte Alternative zu einer reinen Tombola als Preisverteilungssystem bei mehr oder weniger wohltätigen Anlässen genutzt. In dem Fall werden die Bingokarten ähnlich wie Lose gegen ein bestimmtes Entgelt verkauft, was einem Spieler auch erlaubt, sich mehrere Karten zu kaufen. Während die Einnahmen als Spende dienen, werden im Spiel attraktive, meist gespendete, Sachpreise an die glücklichen Gewinner gebracht.
Das ist wie Lotto, nur mit dem Unterschied, dass man beim Lotto erst ankreuzt und dann die Zahlen bestimmt werden.
Da keine Karte mehrmals dabei sein darf, bestimmt die Anzahl der Karten auch den Zahlenraum, in dem sich die ausgelosten Zahlen bewegen.

Soweit, so bekannt. Der Name dieses Spiels ist zu einem geflügelten Wort geworden, mit dem man beschreibt, dass sich eine Situation zur eigenen Zufriedenheit entwickelt hat.
Meistens genutzt, wenn mehrere positive Faktoren (oder auch zynischerweise verwendet bei mehreren negativen Faktoren) für den Nutzer des Wortes zusammen fallen.
Nähern wir uns jetzt der Variante, die mich heute beschäftigt.

Seit einigen Jahren grassiert eine beliebte Variante dieses sonst als „altbacken“ verschrienen Spiels, in diversen Jugendszenen. Diese Variante nennt sich „Bullshit-Bingo“, also „Stier-Exkrement-Bingo“, was, im Gegensatz zu einer englischen Variante, bei der darauf gewettet wird, auf welches der markierten Felder eine Kuh ihren nächsten Fladen legt, überhaupt nichts mit Verdauungsendprodukten der liebenswerten Wiederkäuer zu tun hat.
Im amerikanischen Slang ist jenes besagte Verdauungsendprodukt ein Synonym für Unsinn, Dummheiten und Gelaber. So wie man in deutscher Tradition seinem Gegenüber nichts vom (sprichwörtlichen) Pferd berichten sollte, mag der Amerikaner an sich scheinbar keine Informationen über die Verdauung von Stieren.

Die Geschichte, die dahinter steckt, mag bestimmt genauso interessant sein wie die des uninteressanten Pferdes, aber gerade bin ich nicht in Recherchelaune und möchte Euch auch weder von dem ominösen Pferd, noch von Ferdinands (dem Stier aus einem Beitrag vom Schmusehamster) Verdauung berichten.

Worum es sich bei „Bullshit-Bingo“ handelt, ist genauso einfach wie perfide.
Ein ahnungsloses Opfer wird von der Spielgruppe ausgewählt und damit gleichzeitig sowohl zu Ansager, als auch Zufallsgenerator, lediglich die Aufgabe des Schiedsrichters bleibt ihm verwehrt.
Es werden Karten mit ausgewählten, entweder häufig genutzten Phrasen und/oder Verhaltensweisen des „Opfers“, bestückt und diese an die Mitspieler verteilt.
Zu einem vorher unter den Spielern festgelegten Anlass wird jetzt das „Opfer“ von allen beteiligten Spielern auf das genaueste beobachtet und die Nutzung der vorbestimmten Elemente auf seiner Karte zu notieren.
Zu einem passendem Augenblick, ganz nach Vorbild des „normalen“ Bingo-Spiels, ruft dann der „Gewinner“ lauthals „Bingo“ und alle Mitspieler genießen die Verwirrung der umstehenden und unbeteiligten Personen, nicht zu vergessen jene Irritation und Peinlichkeit des bis dato uneingeweihten „Opfers“.
Das mag nicht freundlich erscheinen, hat aber auch viel mit sozialer Hygiene zu tun und, ähnlich wie beim Mobbing, macht es zumeist allen aktiven Mitspielern, nicht jedoch dem passiven „Opfer“, Spaß.

Über die moralischen Aspekte dieses Spiels will ich mich auch gar nicht viel auslassen, obwohl das ein Thema für einen gesamten Beitrag seien könnte, sondern es geht mir darum, dass ich heute morgen an dieses Spiel verstärkt denken musste.
Der Grund war, dass aus einem tiefen Winkel meines inneren Teams ein lautes „Bingo“ herausschallte.
Ja, der Mausebär hatte es geschafft, einem seiner inneren Persönlichkeiten zu einem Bingo zu verhelfen.

Es ist mir nicht neu, dass eine gewisse Gruppierung innerhalb meines inneren Parteitages schon seit Jahren dieses, in diesem Fall ausschließlich freundlich gemeinte, neckische Spiel mit mir treibt. So manches mal sitzt mein Ich unbedarft in froher Runde mit meinem inneren Team und plötzlich höre ich ein kicherndes „Bingo“ in meinem Hinterkopf.
Zumeist dann, wenn ich unterbewusst wieder zu irgendwelchen Phrasen oder Verhaltensweisen gegriffen habe, von dem mein inneres Team weiß, dass sie mich selber an mir stören. Ich reibe mir sozusagen spielerisch mein eigenes Versagen unter die Nase.
Es ist sensationell, aber ich habe eine der höchsten Stufen der Masturbation erreicht, ich kann mich selber „mobben“.

Das ganze würde natürlich nicht funktionieren, wenn ich nicht diverse „Fehler“ in meinem System hätte. Damit meine ich eben jene von meinem inneren Team im „Bullshit-Bingo“ aufs Korn genommenen Verhaltensweisen, auf die ich unterbewusst zurückgreife, obwohl sie mich an mir selber stören.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich mich trotz narzisstischer Persönlichkeitsstörung – oder gerade deswegen – nicht sonderlich leiden kann.

Warum nicht?
Nun, ich habe einen sehr stark ausgeprägten inneren Perfektionisten, der äußerst hohe Ansprüche stellt. Ansprüche, denen ich selber gar nicht genügen kann. Während ich langsam dem Lernprozess folge, diesen inneren Kritiker neu zu bewerten, um seine Fähigkeiten als Motivator weiter zu nutzen, aber seine zerstörerischen Ansichten nicht auf mein Selbstbild zu übertragen, muss ich mit diesem Element meiner Persönlichkeit jeden Tag aufs Neue umgehen.

Das ist ein Stück meines täglichen Kampfes, der ein Bestandteil dessen ist, dass ich ein Betroffener bin.
Es ist Teil meiner Erkrankung, der ich mich immer wieder stellen muss.

So sehr, wie mein innerer Narzisst versucht, mein fehlendes positives Selbstbild durch äußere Bestätigung zu kompensieren, was auch der Grund ist, aus dem dieser Teil meiner Persönlichkeit entstanden ist, kollidiert er immer wieder mit meinem inneren Kritiker.
Der latente Streit zwischen den Leuten, die hinter meinem Bewusstsein (Alex würde es den Pressesprecher nennen) stehen, treibt mich in innere Verzweiflung, bis hin zur Erkrankung.

Der Grund meiner Depressionen liegt in zwei Faktoren:
Zum einen fehlt mir Vertrauen, denn mein Urvertrauen wurde in meiner Historie immer wieder auf das Übelste vernichtet, was meinen inneren Perfektionisten befeuert hat.
Zum anderen fehlt mir Selbstbewusstsein, bzw. Selbstvertrauen, ein Umstand, der meinen inneren Narzissten geboren hat.

Schon früh habe ich gelernt, meine Angst und Schüchternheit durch lautes und aggressives Verhalten zu kompensieren und entwickelte meine innere „Rampensau“, die immer dann übernimmt, wenn ich mich unsicher fühle.
Statt zu lernen, diese Gefühle zu überwinden, habe ich durch viele Elemente meine innere „Rampensau“ gestärkt und ihr neue Masken, Techniken und Ähnliches beigebracht, um dem unerbittlichen „Bullshit-Bingo“ meines Kritikerteams zu entgehen.

Aber man kann sich nicht vor sich selbst verstecken und noch weniger sich selbst entkommen. Es gibt keine Möglichkeit, sich von sich selbst scheiden zu lassen.
All diese Persönlichkeitselemente in mir sind erschienen, um zu bleiben, wahrscheinlich bis der Tod uns scheidet.
Ich weiß, dass meine einzige Möglichkeit zur „anständigen“ Recovery der Weg der Akzeptanz ist. Das heißt, zu lernen, diese Elemente in mir zu verstehen und zu mögen, um mir anzueignen, mich selber zu mögen.

Unterbewusst war mir schon immer klar, warum auch der Narzisst in mir erschienen ist – jedes Persönlichkeitsmerkmal erfüllt einen Zweck, auch wenn dieser manchmal nicht offensichtlich ist – der mir einfach sagen will, dass, wenn andere Leute mich mögen können, dann kann ich doch gar nicht so schlimm sein, für wie ich mich selber halte.
Ein beständiger Streit des Narzissten mit meinem inneren Kritiker, dem Perfektionisten, welcher dem Vertrauen ins Gesicht fäkalisiert und jedes Kompliment, das ich höre, in negative Aussagen uminterpretiert, ist unvermeidlich.

Wahrscheinlich werde ich weiter daran arbeiten müssen, Tag für Tag, und weiterhin das gelegentliche „Bingo“ in meinem Hinterkopf ertragen. Es ist ja auch eine gute Maßeinheit, nicht für die Verbesserung meines Verhaltens, sondern für meinen Umgang mit mir selbst. Wenn ich irgendwann selber bei dem Spiel mitmache, dann habe ich einen großen Meilenstein auf meinem eigenen Weg erreicht, aber ein kleiner Meilenstein ist ja schon, meinem inneren Team die Freude am Spiel zu gönnen und einfach mal zu akzeptieren, dass ich bin, wer ich bin.

Euer, heute selbstreflektierender, Mausebär (td)

Ein Kommentar

  • Aus meiner Sicht einer der fünf besten Texte von unserem Mausebär. Beim Lesen dachte ich mir, dass dieser Beitrag so auch im Ex-In-Dossier stehen könnte…

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