Laudatio für ein verstorbenes Stück Alltagselektronik

Der Mausebär (td) trauert um den Verlust seines Mobilfunkgerätes und reflektiert seine Rolle als Endnutzer.

Am gestrigen Tage ist ganz unerwartet mein Mobiltelefon verstorben.
Mitten aus der Blüte seines Lebens gerissen, verbrachte es seine letzten Minuten auf Erden in meinen Händen.
Es war ein überraschender Tod. Noch eben hatte ich die neuesten WhatsApp- Nachrichten genossen und wollte gerade einen Anruf starten, als sein kleines Display für immer schwarz wurde.
Sämtliche Wiederbelebungsversuche waren erfolglos und so blieb mir nichts weiter übrig, als das arme kleine Ding für tot zu erklären.
Mir blieb nichts Weiteres übrig, als die üblichen Formalia einzuhalten…

Nach einer erfolgreichen Entnahme von SIM-Karte und Speicherkarte zu Transplantationszwecken wurde das Mobilgerät zu seiner wahrscheinlich letzten Ruhe zurück in seinen Originalkarton verbracht.
Eine spätere Obduktion durch professionelle Elektronikforensiker ist mittels einer Exhumierung jederzeit möglich, aber wahrscheinlich nicht zielführend.
Nach gründlicher Analyse der Kosten einer neuromantischen Wiederbelebung, wurde vom Finanzausschuss ein negativer Bescheid erstellt.
Somit wird das betreffende Mobilfunkgerät nach einer angemessenen Trauerzeit (sprich Lieferzeit) durch ein Ersatzgerät abgelöst. Das Gremium zur Untersuchung des Vorfalles spricht den Endnutzer von sämtlichen Vorwürfen eines schadhaften Fehlverhaltens frei und genehmigt ihm die erneute Adoption eines mobilen Endgerätes.

Aus dem offiziellen Gremiumsprotokoll zum TOP 31 – Sonderkommission Mausebärs Handy vom 13. Mai

Am Mittwoch, den 13. Mai, wurde zur Trauer von Angehörigen und Freunden das Mobilfunkgerät:
Samsung Galaxy J3 des Typen SM-J330F/DS mit der IMEI NO: 353757099191858
an einen besseren Ort berufen.
Es tat stets seine Pflicht und blieb auch unter schlimmsten Bedingungen seinem Endnutzer treu ergeben.
Ob im Spiel oder in der Arbeit war es stets ein treuer Gefährte und hinterlässt eine Lücke, die nur schwer zu füllen sein wird.
Es trauert der Endnutzer Mausebär sowie Familie und Freunde.

Die Beisetzung wird im allerengsten Familienkreis stattfinden.
Von Blumenspenden wird gebeten Abstand zu nehmen und stattdessen eine Spende an den Endnutzer zu entrichten.

Sterbeanzeige vom 13. Mai , entnommen aus dem Mausebärischen Tagesblatt, erschienen am 14. Mai in virtueller Auflage

Ja, es war ein grauer Tag, plötzlich verschwand die Sonne aus meinen tränendurchfluteten Augen.
Zittern durchfuhr meinen Körper, als ich auf die sterblichen Überreste des mir so vertrauten Gerätes in meinen Händen blickte.
Mit zitternder, aber fester Stimme, verkündete ich das unvermeidliche Ende eines elektronischen Lebens.
Ich blieb zurück mit düsteren Gedanken und vor allem einer Frage: Wieso?
Was hatte ich falsch gemacht?
Die unvermeidliche Frage nach meiner Mitschuld an diesem Todesfall zog mich in ihren düsteren Bann.

Wie so oft, wechselte ich zu meiner praktischen Seite.
Während in mir die tosenden Stürme der Trauer ganze Landschaften verwüsteten, versuchte mein rationales Ich sofort alle praktischen Probleme zu lösen. Ich tat, was in meiner Macht stand, ich recherchierte, holte mir Beistand und versuchte, Ersatz zu organisieren. Dennoch blieb immer ein eiskalter Stich in meinem Herzen.
Nie wieder werde ich es fröhlich vibrierend in meinen Händen halten.
Nie wieder wird es in mein Leben eintreten, nachdem es mir mit fröhlichem Klopfen die frohe Botschaft von neuen Informationen gegeben hat.
Nie wieder wird es mich morgens sanft mit einem meiner Lieblingsliedern wecken.
So viele Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben, versinken in einer dichten Nebelwand aus Trauer.

Und wieder frage ich mich, warum ich derjenige bin, der zurückbleibt.
Ist es mein Schicksal, alles zu überleben, was vor mir stirbt?

So oft habe ich über all die Medienabhängigen gelacht. Doch jetzt merke ich selbst meine Abhängigkeit.
Der gestrige Abend voller unheilschwangerer Ruhe trieb mich ermattet in Morpheus Arme und kein froher Signalton riss mich aus meinem gotteslästerlichen Schlaf.
Der Gedanke, dass dieser Zustand jetzt noch mehrere Tage, vielleicht sogar Wochen, anhalten soll, widert mich einfach nur an.
Was soll ich mit all der verlorenen Zeit, die ich sonst so vergnüglich mit allerlei unnützen Nachrichtenupdates, Wetterankündigungen und Werbemails verbracht habe, anfangen?
Und wer informiert mich über wichtige Dinge des Lebens meiner Freunde und Bekannten?
Tagelang kein Threema, kein Whatsapp und keine Anrufe oder SMS.

Nur billig kann ich mich mit Facebook, Google Duo und Email trösten, vor allem da dies alles mich an einen Ort bindet.
Kein Facebook-Update auf der Toilette, keine Ankunftsankündigung, während ich mich im Auto auf die Abfahrt vorbereite. Keine lustigen Bilder, die plötzlich auftauchen, während ich im Bett onaniere und die mein Leben mit Spannung bereichern.
Es wird eine traurige Zeit voller nervenzerfetzender Ruhe.

Wie konnten die Menschen früher nur ohne Mobiltelefon überleben?
Eigentlich gar nicht, die meisten sind gestorben und auch für die letzten Verweigerer sehe ich nicht, dass sie noch lange überleben werden. Ich behaupte mal, dass jeder, der die Mitte dieses Jahrhunderts lebendig erreicht, ein Mobilfunknutzer ist.
Das bedeutet, ich befinde mich zur Zeit in unmittelbarer Lebensgefahr.
Ich hoffe auf Beistand und Hilfe durch meine nächsten Freunde und Angehörigen.
Sollte ich dennoch in den nächsten Tagen versterben, dann verhüllt meine Schande, dass ich es ohne mobile Erreichbarkeit tat.

Euer Trauerflor tragender Mausebär (td) – zur Zeit telefonisch nicht erreichbar

2 Kommentare

  • MeinTief Emfundenes Beileid lieber Thorsten.
    Lass mich wissen wie ich dich ereichen Kann um dir in dieser schweren zeit beistand zu leisten.

    Antworten
  • Oh Mausebaer, aufrichtiges Beileid zu Deinem verstorbenen Lebensbegleiter. Wenn Du Hilfe brauchst, ich bin immer fuer Dich da

    Antworten

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